Druck auf Neuköllner wächst

Auf mehreren Veranstaltungen wird diskutiert, ob Neukölln »Clans« oder Investoren gehört

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht alle wissen es: Shisha-Rauchen ist nicht kriminell.
Nicht alle wissen es: Shisha-Rauchen ist nicht kriminell.

»Die Debatte um die sogenannte Clankriminalität in Neukölln wird gerade etwas differenzierter«, ist sich Mohammed Ali Chahrour von der Initiative »Kein Generalverdacht!« sicher. Dies sei auch ein Erfolg der Gruppe, die sich für eine solidarische Nachbarschaft und gegen Rassismus und Verdrängung engagiert, so Chahrour. Diese hatte in den letzten Monaten verstärkt Kritik an den mutmaßlich rassistischen Motiven bestimmter pauschaler Verdächtigungen und dem Handeln von Bezirk, Polizei und Ordnungsamt unter dem Stichwort »Clankriminalität« geübt. Immer wieder werden bei Großeinsätzen der Polizei mit teilweise mehreren Hundert Beamt*innen in Neukölln großflächig Cafés, Bars und Spätverkaufsstellen abgesperrt. Gäste werden in den Kneipen festgehalten und Anwohner*innen nicht in ihre Wohnungen gelassen. Auch Hundestaffeln und Maschinenpistolen kommen zum Einsatz.

Am Dienstagabend lud die Initiative aus Neuköllner Gewerbetreibenden und aktivistischen Gruppen deshalb auch zu einem »Shisha-Flashmob« auf die Karl-Marx-Straße. Rund 70 Menschen standen in der abendlichen Kälte zusammen und wärmten sich bei Tee und Brot - manche nahmen auch den einen oder anderen Zug von den mitgebrachten Wasserpfeifen, die zwei Shisha-Barbetreiber zur Verfügung gestellt hatten.

Vor Ort sind auch drei Einsatzwagen der Polizei. »Ich finde es einen Skandal, dass Polizei und Politik davon reden, dass sie Zeichen setzen wollen gegen organisierte Kriminalität, und dann hier massiv Kleingewerbetreibende, Nachbarn und Gäste unter Druck setzen«, begründet eine ältere Dame ihre Teilnahme.

Die Mitarbeiterin einer Shisha-Bar ergreift das Mikrofon und schildert, wie sie sich zunehmend dafür rechtfertigen müsse, dass sie dort arbeite. »Es gibt gar keine Anhaltspunkte, hier wöchentlich Razzien durchzuführen«, sagt sie. Dann fehlen ihr die Worte, und sie muss sich sichtlich bewegt einen Moment hinsetzen. Vielen Menschen, die gekommen sind, ist die Anspannung anzumerken, die das Thema bei ihnen auslöst. Etliche vermuten, dass die öffentliche Debatte über »Clans« die Verdrängung durch Mietsteigerungen flankiere.

Auch Bahman Wardasbi ist sichtlich beunruhigt: »Ich habe Angst vor rassistischen Kontrollen, Angst um meine Freunde, die abgeschoben werden, Angst vor der hochgerüsteten Polizei.« Die Motive dieser neuen Aufmerksamkeit für den Bezirk könne er sich nur mit dem zunehmenden Interesse von Investoren und Immobilienkonzernen erklären, so Wardasbi: »Man zerstört unsere Kieze und erhöht unsere Mieten.« Aber wenn etwas in Neukölln lebensbedrohlich sei, dann doch Neonazis, deren Taten nicht aufgeklärt werden, sagt der junge Neuköllner.

Für Sabine Seyb von der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin, ReachOut, »stellt sich die Situation so dar, dass Menschen in Neukölln von Racial Profiling und Geschäftsschädigung betroffen sind«, sagt die Beraterin. Und natürlich präge das martialische Auftreten der Polizei auch die Wahrnehmung aller anderen Menschen, die sich hier aufhalten. Während sich auf der einen Seite der Karl-Marx-Straße die unterschiedlichen Menschen angeregt austauschen, finden sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Veranstaltungszentrum Heimathafen Neukölln ebenfalls mehrere Dutzend Besucher*innen ein, um an einer Diskussion unter dem Motto »Wem gehört Neukölln?« teilzunehmen. Diese Frage wollen die Autoren einer Fernsehdokumentation des ZDF-Magazins Frontal 21 mit demselben Titel unter anderem mit dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) und einer Runde sehr unterschiedlicher städtischer Akteure diskutieren - ein Immobilienunternehmer ist genauso eingeladen wie der Geschäftsführer des sozialen Trägers »Jugendwohnen im Kiez«. Noch bevor die Veranstaltung beginnt, protestieren mehrere Dutzend Menschen mit Transparenten, auf denen steht: »Arme und Migranten sollen sich verziehen, das macht den Kiez clean für Reiche«.

Der ebenfalls aufs Podium geladene Stadtsoziologe Matthias Berndt beantwortet die Frage pragmatisch: »Wer die Grundbucheinträge liest, weiß, dass Neukölln hauptsächlich Finanzinvestoren gehört.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.