• Berlin
  • Hausprojekt Liebig 34

Eine Bombe und viel sozialer Sprengstoff

Beim Räumungsprozess gegen das linke Hausprojekt Liebig34 gab es jede Menge Störungen - aber kein Urteil

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum hat sich der Richter gesetzt, springen plötzlich zwei junge Frauen aus den Zuschauerreihen auf, entblößen ihre Brüste und rennen schreiend nach vorne. Zeitgleich rufen mehrere Unterstützer*innen, die sich mit Kabelbindern aneinander gekettet haben, lautstark: »Liebig bleibt, Liebig bleibt!« Polizisten zerren die Frauen* gewaltsam aus dem Saal, Stühle fliegen durch die Gegend, die Aufregung ist groß. Nach wenigen Minuten ist der Eklat vorbei, und der Räumungsprozess gegen das anarcha-queerfeministische Hausprojekt Liebig34 kann beginnen – allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Am Freitagmorgen wurde vor dem Landgericht Berlin die Räumungsklage gegen das Haus in der Liebigstraße, Ecke Rigaer Straße in Friedrichshain verhandelt. Ende 2018 war der zehnjährige Pachtvertrag des Hauseigenen Vereins »Raduga« mit dem Eigentümer Gijora Padovicz ausgelaufen. Seitdem weigern sich die Bewohner*innen, das seit 30 Jahren bestehende Hausprojekt zu verlassen. Während Padovicz, dem allein in Friedrichshain 200 Immobilien gehören sollen, auf einer Räumung besteht und Verhandlungen ablehnt, sieht sich die Hausgemeinschaft in ihren Mieter*innenrechten beschränkt.

Bereits im Vorfeld des Prozesses war es zu mehreren Störungen gekommen. So sperrte die Polizei das Gerichtsgebäude am frühen Morgen weiträumig ab, weil vor dem Eingang ein verdächtiger Gegenstand lag. Auf die Wand des Gebäudes wurden zudem Parolen wie »L34« gemalt. Zwar stellte sich schnell heraus, dass es sich bei dem Gegenstand keineswegs um eine Bombe handelte, die angemeldete Kundgebung musste dennoch verlegt werden.

Während vor dem Gericht rund 60 Unterstützer*innen ihre Unterstützung mit dem symbolträchtigen Hausprojekt ausdrückten, nahm die Polizei am Rande zwei junge Frauen fest. Wie sich später herausstellte, waren dies genau die beiden Prozessbeteiligten, die den Verein »Raduga« an diesem Tag vor Gericht vertreten sollten. Für den Anwalt der Liebig34, Moritz Heusinger, »höchst irritierend«: »Wie soll ich ohne meine beiden Mandantinnen den Prozess führen?«, fragt er und will nicht so Recht an einen Zufall glauben.

Nach einer Weile werden die beiden Festgenommenen zwar wieder frei gelassen, laut Heusinger soll eine von ihnen bei der Verhaftung jedoch derart verletzt worden sein, dass sie sich nicht in der Lage sieht, am Prozess teilzunehmen. Seine andere Mandantin kann zwar vor Gericht erscheinen, jedoch nur vorläufig: Nach der Verhandlung soll sie wieder in Gewahrsam genommen werden, was dann auch geschieht.

Mit rund einer Stunde Verspätung startet der Prozess dann in einem kurzfristig geänderten Verhandlungssaal, der so klein ist, dass die rund 20 Unterstützer*innen teilweise auf dem Boden sitzen müssen. Bereits nach wenigen Minuten gibt es die erste Unterbrechung: Eine junge Frau im Zuschauerraum bricht zusammen und muss von Sanitäter*innen behandelt werden. Nach einer halben Stunde dann der zweite Versuch, dieses mal führen die Unterstützer*innen die Störung bewusst herbei.

Nachdem der Richter alle außer der Presse aus dem Saal geworfen hat, ist die Verhandlung dann auch schnell vorbei. »Ich sehe mich nicht in der Lage, den Verein ordnungsgemäß zu vertreten, da dessen beiden Vertreterinnen vor der Verhandlung verhaftet wurden«, erklärt Liebig34-Anwalt Moritz Heusinger und bittet um eine Vertagung. Der Anwalt der Gegenseite besteht trotzdem auf einem Versäumnisurteil. Dazu kommt es nicht, die Verhandlung wird stattdessen auf den 12. Dezember verschoben.

Als die Prozessteilnehmer*innen das Gerichtsgebäude verlassen wollen, wartet noch eine kleine Überraschung auf sie: Alle anwesenden, weiblich gelesenen Personen, werden von der Polizei durchsucht und bekommen eine Anzeige wegen Widerstand und Hausfriedensbruch – inklusive der nd-Reporterin.

Bei der Pressekonferenz am Nachmittag vor der Liebig34 kritisieren die Bewohner*innen das Verhalten der Polizei als diskriminierend und willkürlich. Mit ihrer eigenen Performance sind sie hingegen zufrieden: »Wir haben gezeigt, was wir von der Justiz im kapitalistischen Nationalstaat halten: nämlich nichts«, sagt eine Bewohnerin.

Anwalt Heusinger ist froh, dass es zumindest an diesem Tag zu keinem Räumungsurteil gekommen ist. Dazu soll es, wenn es nach ihm geht, auch bei der nächsten Verhandlung nicht kommen. Er macht geltend, dass die Untermietverträge der Bewohner*innen mit dem Verein nach Beendigung des Pachtvertrages in normale Mietverträge umgewandelt werden müssten. Ob der Richter dieser Argumentation folgt, ist fraglich, wie Heusinger einräumt: »Es kann gut sein, dass wir damit nicht durchkommen.«

Was dann passiert, ist für die Bewohner*innen und Unterstützer*innen der Liebig34 klar: »Wir werden Widerstand leisten«, kündigen sie an. »Jede Räumung hat ihren Preis und dieser wird besonders hoch sein.«

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