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Katalonien-Frage bleibt Sánchez’ Stolperstein
Prozess gegen Regionalpräsidenten Torra eröffnet / Separatisten machen Unterstützung des spanischen Premiers von Lösung im Unabhängigkeitsstreit abhängig
Der spanische Sozialdemokrat Pedro Sánchez hat ein Problem. In der Hoffnung, dass nach vorgezogenen Neuwahlen die Regierungsbildung einfacher wird, hatte er das Land in den vierten Urnengang in nur vier Jahren geführt. Doch die Hoffnung, nicht auf Stimmen aus Katalonien angewiesen zu sein, ist zerstoben. Nun belastet die verfehlte Strategie seinen neuerlichen Anlauf, Regierungschef zu werden.
Auch die Gerichtsverfahren gegen Katalanen stellen Stolpersteine für eine Regierungsbildung dar. Ein solcher ist etwa der Prozess gegen den katalanischen Regierungschef Quim Torra, der am Montag am Obersten Gerichtshof Kataloniens begonnen hat. Erstmals steht ein amtierender katalanischer Präsident vor der spanischen Justiz. Doch schon viele seiner Vorgänger wie Carles Puigdemont fanden sich irgendwann vor Gericht wieder: Zehn von zwölf katalanischen Präsidenten in den vergangenen 100 Jahren wurden angeklagt, inhaftiert, mussten ins Exil oder wurden ermordet.
Torra wird vom Ministerium für Staatsanwaltschaft »Ungehorsam« gegen die Zentrale Wahlbehörde (JEC) vorgeworfen. Er habe vor den vorgezogenen Neuwahlen im April gelbe Schleifen, katalanische Fahnen und ein Transparent für die »Freiheit der politischen Gefangenen« nicht von Regierungsgebäuden entfernt, wie es die JEC gefordert hatte. Torra sah die Meinungsfreiheit verletzt, ließ aber dennoch die parteiübergreifenden Symbole, die teils auch von Unabhängigkeitsgegnern genutzt werden, leicht verspätet abnehmen. Trotzdem drohen ihm nun ein Amtsverbot von 20 Monaten und eine Geldstrafe in Höhe von 30 000 Euro. Die Nebenklage, vorgetragen von der rechtsextremen Partei VOX, fordert sogar zwei Jahre Haft und eine Geldstrafe von 70 000 Euro.
»Ich werde mich nicht verteidigen, sondern den Staat angreifen, weil die Rechte aller Katalanen verletzt wurden«, sagte Torra am Montag. Zahllose Menschen, darunter praktisch alle Regierungsmitglieder, haben ihn zum Gerichtsgebäude in Barcelona begleitet. Er habe nur seine Pflicht getan und die »Rechte und Freiheiten« der Bevölkerung verteidigt.
Torra forderte die Einstellung des Verfahrens, sein Verteidiger die Suspendierung, damit die Mitglieder des Wahlrats vorgeladen werden können. Torra zeigte sich erstaunt über das Verfahren. Denn über Anzeigen, dass JEC-Mitglieder Rechtsbeugung begangen hätten und über die Anfechtung ihrer umstrittenen Beschlüsse, wurde bisher nicht entschieden.
Verfahren gegen den Parlamentspräsidenten und viele andere Politiker entscheiden nun über die Regierungsbildung in Spanien. Zwar hat Sánchez binnen 48 Stunden nach der Wahl vom 10. November eine Vorvereinbarung für eine Koalition mit Unidas Podemos (Zusammen können wir es, UP) geschlossen. Doch ein solches Bündnis reicht nicht für eine Mehrheit im spanischen Parlament. Das sah vor einem halben Jahr noch besser aus: Nach der Wahl im April kamen PSOE und UP auf 165 von insgesamt 350 Sitzen. Nun sind sie mit 155 Mandaten deutlich weiter von einer stabilen Mehrheit (nötig sind 176) entfernt. Zudem ist die Republikanische Linke (ERC) wegen der anhaltenden Repression zum Nein von Torras »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) umgeschwenkt. Der ERC-Chef Oriol Junqueras und andere Politiker wurden kürzlich zu bis zu 13 Jahren Haft wegen »Aufruhr« verurteilt, den Gerichte in Deutschland, Belgien, Großbritannien und der Schweiz nicht erkennen können.
ERC und JxCat fordern Verhandlungen zur Lösung des Konflikts, insbesondere ein Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild. Die Tatsache, dass auch die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Freiheit der politischen Gefangenen fordert, erleichtert die Regierungsbildung nicht. Allerdings werden in Sánchez’ Partei bedeutsame Stimmen laut, die »offene und ehrliche Verhandlungen« fordern, bei der »alle Alternativen« auf den Tisch kommen. Das erklärte etwa der ehemalige PSOE-Chef und Ex-Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero. Zum Dialog gebe es »keine Alternative«.
Rechte Parteibarone der PSOE sind hingegen weiter gegen jeden Dialog. Sie lehnen zudem eine Koalitionsregierung mit UP ab und wollen eine große Koalition mit der rechten Volkspartei (PP), die diese nun in den Raum stellt. »Wir appellieren an die PSOE, nicht an Sánchez, sondern an die vernünftige PSOE, die schon vor zwei Jahren ein solches Abkommen ablehnte, das Sánchez nun als unerlässlich verkauft«, erklärte der PP-Politiker Jaime de Olano. Er ist ein enger Vertrauter von Parteichef Pablo Casado. Während Sánchez seine Fühler in Richtung der Linken und Separatisten ausstreckt, droht in seinem Rücken die Rebellion innerhalb der PSOE - sie hatte Sánchez vor drei Jahren schon einmal zu Fall gebracht.
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