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Bolivien ist blockiert
Straßensperren sorgen für Versorgungsmängel, der Weg zu Neuwahlen ist unklar
Nur wenige Kilometer südlich von La Paz liegt die Region Rio Abajo. Normalerweise braucht man mit dem öffentlichen Nahverkehr nur eine halbe Stunde, um dorthin zu gelangen. Jetzt liegen überall Steine und Baumstämme auf der Straße. Immer wieder sind auch größere Hindernisse da, wie quergestellte Container. Zwei Stunden, größtenteils zu Fuß, braucht man jetzt.
In der Gemeinde Taypichulo ist im Gemeindehaus ein Sarg aufgebahrt. Die Gemeinde trauert um ein Mitglied, das am 11. November während einer Demonstration ums Leben gekommen ist. »Die Militärs und die Polizei sind gekommen, um das Haus von Carlos Mesa zu schützen«, meint eine Nachbarin. Am Montag gegen Mittag habe sich der Demonstrationszug formiert und sich auf den Weg gemacht. Ziel war das wenige Kilometer entfernte Mallasa, dort habe man friedlich demonstriert. Nachmittags veröffentlichte der Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa, Gegenspieler von Morales, auf Twitter eine Nachricht, ein »Mob« sei auf dem Weg, sein Haus zu zerstören, »ich verlange von der Polizei, diesen Wahnsinn zu verhindern«, schrieb er. Gegen 21 Uhr kamen die Polizeieinheiten an. »Wir demonstrierten friedlich, nach einigen Stunden kamen Polizei und Militär und haben uns mit Tränengas beschossen, wir sind nach allen Seiten geflüchtet«, meint Freddy Mamani. Für Silverio Condori, 68 Jahre alt, endete diese Demonstration tödlich, auf der Flucht vor dem Tränengas stürzte er in eine Felsspalte, erst drei Tage später wird er von einem Nachbarn gefunden.
Condori ist einer von rund zwei Dutzend Toten, die der Konflikt in Bolivien bisher gefordert hat. Die meisten sind Indígenas oder Campesinos. Alleine am Freitag kamen bei einer Demonstration bei Cochabamba neun Protestierende ums Leben, als sie eine von Sicherheitskräften blockierte Brücke überqueren wollten. Die Polizei setzte zunächst Tränengas ein und dann wurde geschossen. Während Demonstranten berichten, die Polizei habe das Feuer eröffnet, behauptet die Polizei, Anhänger von Evo Morales hätten auf die protestierenden Koka-Bauern geschossen.
Am Freitag hatte die Interimspräsidentin Jeanine Añez einen Erlass unterzeichnet, der den Militärs Straffreiheit für ihre Aktivitäten zusichert. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission veröffentlichte das Dokument und zeigte sich besorgt, »damit werden internationale Standards der Menschenrechte negiert und die Gewalt angeheizt.« Überall hört man in den vergangenen Tagen von Verhaftungen und Misshandlungen, in Chasquipampa sollen Polizisten in zivil von Haus zu Haus gegangen sein und nach Rädelsführern der Proteste gesucht haben.
An vielen Ecken im Land sind Straßen blockiert. In El Alto bringen die Proteste die Stadtgesellschaft zum Zerreißen. Nicht alle wollen die Blockade aufrechterhalten. Denn die Proteste beeinträchtigen auch das eigene Leben. In den Märkten gibt es bereits kein Fleisch mehr und auch das Gemüse wird knapp, die Preise steigen. Insbesondere für die Familien, die knapp bei Kasse sind, wird die Versorgungslage schwieriger. Aber auch anderweitig zeigen sich Risse. Junge Leute, die unter Evo Morales groß geworden sind, und für Carlos Mesa gestimmt haben, fühlen sich ebenfalls betrogen um ihre Wählerstimme. Noch ist nicht klar, wie lange und wie umfangreich die Blockade in der Stadt aufrechterhalten werden kann.
In Rio Abajo, von wo aus La Paz mit Gemüse versorgt wird, zeigen sich die Leute entschlossen: »Kein Salatblatt werden wir hier durchlassen, bis Präsidentin Añez zurücktritt«, meint eine Blockiererin. Viele sind hier immer noch geschockt von den Beleidigungen, der Schändung der Wiphala, der Flagge der indigenen Pluralität, und vom erzwungenen Gang ihres Präsidenten ins Exil. Mamani meint »hier in unserer Gemeinde haben 90 Prozent Evo Morales gewählt. Am Abend der Wahl hat die Opposition bereits von einem Wahlbetrug gesprochen, da waren unsere Ergebnisse noch gar nicht berücksichtigt, sie wollen, dass ihre Wahlentscheidung berücksichtigt wird, respektieren unsere aber nicht.« Die meisten hier seien keine Anhänger der Bewegung zum Sozialismus (MAS), fährt er fort, aber »Morales ist der erste Präsident gewesen, der bei uns vorbeigeschaut hat und überhaupt was für die Gemeinden auf dem Land gemacht hat.« Daher wollen sie nicht ruhen, bis die für sie rechtmäßige Regierung wieder eingesetzt wird. Die tiefe Demütigung, die sie diese Tage erleben, ist überall greifbar, immer wieder ringen die Blockierer um Worte, wenn sie berichten.
Aus Kreisen der neuen Regierung hört man derweil, dass sie erst dann Neuwahlen ansetzen will, wenn die »Ordnung« wieder hergestellt ist. Sie versucht dabei, an der Parlamentsmehrheit vorbei zu regieren, denn die ist immer noch bei MAS. MAS-Abgeordnete riefen für Dienstag zu einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern des Parlaments auf. Dabei sollten Abgeordnetenkammer und Senat über den Weg zu Neuwahlen debattieren. Gefolgsleute von Añez lehnten das ab.
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