EU-Armee statt regionale Entwicklung

Die Kommission will künftig mehr Geld für Außenpolitik und Verteidigung ausgeben

  • Marion Bergermann, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Statt Pfeffer kommen Schokoladenkrümel aus dem Streuer auf dem Tisch. Im »Chocolero« in Brüssels Innenstadt kann man alles Mögliche mit Kakao als Zutat essen. Es gibt Kürbissuppe oder Ziegenkäse mit dem braunen Erzeugnis. Kakao trendet bei gesundheitsbewussten Konsument*innen als Wundermittel für gesunden Genuss. Pierrick Stinglhamber verbindet das mit einem sozialen Anspruch für sein Restaurant: Die im »Chocolero« verwendeten Kakaobohnen stammen aus Kooperativen in Peru und Kolumbien, wo vorher Kokablätter, die für die Gewinnung von Kokain gebraucht werden, angebaut wurden, erzählt er. »Wir ermutigen die Bauern, Kakao statt Koka anzubauen«, sagt Stinglhamber.

Der 42-Jährige hat vier Monate Zeit, zu testen, ob seine Geschäftsidee läuft. Für diese Zeit stellt ihm das »Smart Retail City Lab«, ein Projekt, das die belgische Hauptstadt attraktiver machen will, für eine geringe Miete die Räumlichkeiten zur Verfügung. Das Lab wiederum hat genau für solche Projekte Gelder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung erhalten, einem der Töpfe, mit denen die EU ihre Regionen stärken möchte.

Dieser Fonds wird ab dem Jahr 2021 kleiner werden. Denn im neuen mehrjährigen Finanzrahmen — MFF 2021 bis 2027, wie es in Brüssel heißt — werden wohl weniger Gelder in die Entwicklung von Regionen und in die gemeinsame Agrarpolitik gehen. Sie waren die beiden größten Posten in den letzten Jahren. Dabei ist die EU-Regionalpolitik das, was viele Kritiker*innen von dem Staatenbund fordern, nämlich die lokale Ebene zu unterstützen und den Regionen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Laut dem EU-Kommissionsvorschlag sollen Regionalprojekte und Agrarpolitik, also unter anderem die Subvention von Bauern, zwar weiterhin die größten Posten bleiben. Aber die Brüsseler Behörde hat vorgeschlagen, ab 2021 rund fünf Prozent weniger für diese beiden Bereiche auszugeben. Zudem sollen im Rahmen der Regionalpolitik künftig wirtschaftliche Reformen und die Langzeitintegration von Migranten eine größere Rolle spielen, hieß es von der EU-Kommission.

Inwieweit das so kommen wird, ist noch unsicher. Zwischen den drei EU-Institutionen Parlament, Rat und Kommission gibt es viele Diskussionen. Über die von der Kommission gemachten Vorschläge wird der Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs, einstimmig abstimmen müssen. Dann muss noch das EU-Parlament die Entscheidung des Rates billigen oder kann sie ablehnen.

Doch aus dem Fonds werden nicht nur Kakaorestaurants finanziert, sondern auch die Umwandlung der Kohleregionen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg oder ein Projekt, das Frauen in Spanien in der Berufsfindung fördert.

Als neue Prioritäten formulierte die Kommission stattdessen Bereiche, die ihre internationale Rolle stärken und Immigration erschweren werden. So etwa Forschung, digitale Wirtschaft, Migration und »Grenzmanagement«, wie es im Kommissionsvorschlag heißt. Außerdem soll unter anderem mehr Geld in Klimaschutz und Programme wie Erasmus gehen.

Zudem müssen, geht es nach dem Vorschlag der Kommission, die Mitgliedstaaten mehr Geld zum MFF beisteuern. Das gab die Behörde im Mai bekannt, seitdem kam offiziell nicht viel nach. Vergangene Woche äußerte sich die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Paris Peace Forum: »Im nächsten Budget möchte ich, dass wir 30 Prozent mehr für Außenbeziehungen ausgeben.« Außenbeziehungen beinhalten zwar auch humanitäre Hilfe und Entwicklungsarbeit, die die EU in Drittländern mitfinanziert. Jedoch ist die Europäische Union dabei, Pläne für eine gemeinsame EU-Armee voranzutreiben.

Das Europäische Parlament hingegen hätte gerne, dass es keine Kürzungen in Regionalpolitik und Landwirtschaft gibt und stattdessen die Mitgliedstaaten mehr Abgaben zahlen müssen. Die Abgeordneten fordern mehr Ausgaben für Forschung, Umwelt- und Klimaschutz, Digitalisierung und soziale Rechte.

Marc Lemaitre, Direktor der Generaldirektion Regionalpolitik (DG Regio) in der EU-Kommission, gab sich vergangenen Freitag in Brüssel bei einer Konferenz zu digitalem Wandel entspannt zur Finanzierung von innovativen Ideen auf lokaler Ebene: »Kohäsionspolitik sollte eine der finanziellen Unterstützungen sein, aber sicherlich nicht ausschließlich.« Normunds Popens, stellvertretender Direktor der DG Regio, antwortete knapp während einer Pressekonferenz in Brüssel am Donnerstag auf »nd«-Nachfrage: »Je nachdem, wie viel Geld wir haben, müssen wir damit effizient umgehen.«

Die Reise wurde finanziert von der Europäischen Kommission.

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