- Politik
- Bundestag
Späte Anerkennung für NS-Opfer
Bundestag will Schicksal von «Asozialen» und «Berufsverbrechern» ins Bewusstsein rücken
Aller Voraussicht nach wird der Bundestag im Laufe des nächsten Jahres ein Gesetz zur Anerkennung der von den Nationalsozialisten sogenannten «Asozialen» und «Berufsverbrechern» als Verfolgte verabschieden. Anfang November wurden im Kulturausschuss neben dem Antrag der Regierungskoalition auch entsprechende Anträge der Grünen, der Linksfraktion und der FDP behandelt. Nur die AfD will die Rehabilitation dieser vergessenen Opfergruppe nicht mittragen. «Abgesehen von Details gibt es jetzt eine Zustimmung aller demokratischen Parteien des Bundestages zu unserem Anliegen», so Professor Frank Nonnenmacher, der mit anderen am 18. April 2018 eine entsprechende Petition auf den Weg gebracht hatte.
Der Antrag der Fraktionen von Union und SPD schildert die Ausgangslage: «Für die Häftlinge endeten mit der Befreiung der Konzentrationslager die menschenverachtenden Qualen durch die Nationalsozialisten. Während in den darauffolgenden Jahren die gesellschaftliche Rehabilitation für eine Vielzahl von Opfern einsetzte, wurden die als ›Asoziale‹ und ›Berufsverbrecher‹ Verfolgten ausgeblendet. Der zivilisatorische Bruch durch die Aushebelung des Rechtsstaats bedeutete auch für sie Verfolgung, Verschleppung und Vernichtung in den Konzentrationslagern. Niemand wurde zurecht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält und ermordet. Diskriminierung und Stigmatisierung waren für die Opfergruppen mit dem ›grünen‹ und ›schwarzen‹ Winkel vor und nach der NS-Terrorherrschaft weiterhin an der Tagesordnung.»
«Asozial» wurde von den Nazis willkürlich verwendet
Diese Gruppe der «Asozialen» und «Berufsverbrecher» wurden lange nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Anders als Menschen, die wegen ihrer Religion, Zugehörigkeit zu einer Minderheit, Homosexualität Rasse oder politischen Überzeugung inhaftiert wurden, lassen sie sich als Gruppen nur schwer greifbar machen. Bei «Asozialen» griffen die Nationalsozialisten auf die bereits bestehende Abneigung gegenüber bestimmten Randgruppen wie Obdachlose, Bettler oder Prostituierte zurück. Sie wurden in den Konzentrationslagern durch einen «schwarzen Winkel», den sie an ihrer Kleidung tragen mussten, kenntlich gemacht. Im Laufe der NS-Terrorherrschaft wurde der Begriff des «Asozialen» immer ausufernder verwendet. Damit hatten die Nationalsozialisten das Instrument, Andersdenkende und missliebige Personen beliebig zu inhaftieren.
Bei «Berufsverbrechern», die im Lager einen «grünen Winkel» tragen mussten, handelte es sich zunächst um Personen, die in der Regel wegen Eigentumsdelikten mindestens dreimal zu Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten verurteilt worden waren. «Berufsverbrecher» hatten also ihre Strafen verbüßt. Gegen sie lag zum Zeitpunkt der Inhaftierung in einem Konzentrationslager kein Tatverdacht vor. Ab 1942 wurden verurteilte Straftäter aus den Justizvollzugsanstalten in Konzentrationslager überstellt, wo sie ebenfalls mit dem «grünen Winkel» der «Berufsverbrecher» gekennzeichnet wurden.
Zu dieser Gruppe gehörten auch die «Vergessenen Frauen von Aichach», also jener mehr als 300 Gefangenen, die ab 1942 aus dem Frauengefängnis Aichach nach Auschwitz deportiert wurden, wo die meisten von ihnen nach kurzer Zeit starben. Dabei handelte es sich oft um Frauen, die wegen Kleindiebstählen oder anderen Bagatelldelikten einsaßen.
Für einen Erinnerungsort an diese Opfer des Nationalsozialismus setzt sich vor Ort das Frauenforum Aichach-Friedberg ein: «Inzwischen ist unser Anliegen gediehen. Wir haben die offizielle Unterstützung des Bürgermeisters und des Stadtrats in Aichach», so Forumssprecherin Jacoba Zapf. Am 4. Dezember werde die Finanzierung des Gedenkorts im Kreistag beraten. Auch ein möglicher Standort in Aichach für das Denkmal sei bereits gefunden. Für nächstes Jahr hat das Frauenforum einen Besuch aus Italien von Mitgliedern der Institute aus Como und Bergamo zugesagt kommen, die sich mit der Geschichte des italienischen Widerstands befassen. Einige der Frauen des Widerstands saßen auch in Aichach ein.
AfD kritisiert Vorhaben
Der Antrag der Großen Koalition fordert die Bundesregierung unter anderem auf, die Opfergruppen «Asoziale» und «Berufsverbrecher» zukünftig stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken und ihnen einen angemessenen Platz im staatlichen Erinnern zu verschaffen. Zudem soll eine Ausstellung in Auftrag gegeben werden, die historische Information und gedenkendes Erinnern zum Schicksal dieser Verfolgten miteinander verbindet. Weiter sollen Forschungsarbeiten finanziert werden, um das Schicksal dieser Menschen weiter aufzuarbeiten.
Die AfD hatte sich den Anträgen mit der Begründung verweigert, damit würden auch sogenannte «Kapos», also Häftlings-Aufseher in den Lagern, rehabilitiert, die selbst zu Tätern und nach dem Krieg verurteilt worden waren. Dazu der Antrag von Union und SPD: «Dem gängigen Vorwurf nach hätten sich ›Berufsverbrecher‹ in ihrer herausgehobenen Stellung als ›Kapos‹ an den Verbrecher der Nationalsozialisten mitschuldig gemacht. Vergessen wird dabei, dass alle Häftlinge - egal ob ›Kapo‹ oder nicht - vollkommen der Willkür der Nationalsozialisten ausgeliefert waren und täglich um ihr Überleben bangen mussten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.