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Beteiligung macht zufrieden
Mitsprache beim Wohnungsbau führt zu besseren Nachbarschaften.
Partizipation lohnt sich. Stadtentwicklungsprojekte werden besser und die Akzeptanz in der Nachbarschaft größer. Davon ist zumindest Rot-Rot-Grün in Berlin überzeugt, die Koalition arbeitet mit neuen Leitlinien für Bürgerbeteiligung an der Ausweitung. Die Widerstände sind groß. Wohnungswirtschaft, Verwaltung und konservative Politiker bis hinein in die SPD beklagen Verzögerungen und Mehrkosten. Eine neue Untersuchung zeigt klar die Vorteile auf.
»Nur 19 Prozent der Bewohner partizipativer Wohnungsbauprojekte wollen sich verändern, im Gegensatz zu 36 Prozent in konventionellen Wohnbauten«, sagt Andrea Jany. Die Architektin und Wohnbauforscherin ist zufrieden, dass sie in ihrer Doktorarbeit die These belegen konnte, dass die spätere Wohnzufriedenheit wesentlich größer ist, wenn die künftigen Bewohner bei der Planung ihrer Wohnungen und Häuser Mitsprache haben. »Experiment Wohnbau - Die partizipative Architektur des Modell Steiermark«, heißt ihr daraus entstandenes Buch, das sie auf Einladung des Bildungsvereins Helle Panke der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung vorstellt.
Für ihre Arbeit hat die Forscherin an die Bewohner von zusammen sechs Wohnbauten in Graz in Österreich Fragebögen verschickt: Je drei konventionell ohne Mitbestimmung errichtete Gebäude oder Anlagen sowie in unmittelbarer Nachbarschaft solche, bei denen die späteren Mieter Mitsprache hatten, darunter die Terrassenhaussiedlung. Geantwortet hatten 30 Prozent der zusammengenommen 795 Haushalte. Jany errechnete aus den Antworten im vierseitigen Fragebogen für die Bewohner partizipativ geplanter Anlagen eine Wohnzufriedenheit von 4,52 von bis zu fünf möglichen Punkten, im konventionellen Wohnungsbau kam ein Wert von 4,03 heraus. »Damit konnte ich meine Haupthypothese bestätigen, auch wenn der Wert sich nur wenig unterscheidet«, erklärt die Wissenschaftlerin.
Hervorstechend waren die Unterschiede bei der sozialen Einbindung. Dabei geht es darum, wie eng die Kontakte mit den Nachbarn sind, ob man sich gegenseitig besucht, miteinander spricht. »Wir haben eine doppelt so starke Einbindung«, hat Jany für partizipativ geplante Wohnanlagen herausgefunden. Das hänge auch mit dem Kontakt in der Planungsphase zusammen, so die Forscherin. Die spätere Bewohnerschaft sortiert sich schon zu dieser Zeit. »Manche gehen auch früher raus, wenn sie feststellen, dass sie mit den Menschen nicht klarkommen«, schildert sie. »Volkswirtschaftlich sollte die bessere Einbindung durchaus von Interesse sein«, sagt Jany. Denn die Nachbarschaftshilfe kann durch Kinderbetreuung, Hilfe bei Einkäufen oder auch bei der Pflege, öffentlich finanzierte Angebote stark entlasten.
»Partizipation im Wohnbau ist ein relativ neues Phänomen, möchte man meinen«, sagt Jany. Tatsächlich erlebte sie in Gefolge von 1968 schon einmal in den 1970er Jahren eine Blüte. Vorneweg war in der Steiermark ausgerechnet die konservative ÖVP, die über Jahrzehnte bei Landtagswahlen stets die absolute Mehrheit errungen hatte. 1972 hob sie das »Modell Steiermark« aus der Taufe. »Es ging um die Auflösung des Konflikts zwischen sozialem Massenwohnbau und Eigenheim«, erklärt die Architektin. Denn in den Nachkriegsjahrzehnten gab es dazwischen nichts. Ziel war nicht nur das Wegkommen von standardisierten Bauten ohne Bezug auf individuelle Wohnbedürfnisse, sondern auch die flächensparende Bauweise im ländlichen Raum. Reihenhäuser statt frei stehender Einfamilienhäuser war dort das Motto.
Eines der Vorläuferprojekte waren die Grazer Terrassenhäuser, deren Planungen bereits 1965 begonnen hatten. In einem Container auf dem Baugrundstück kamen Wohnungsinteressenten und Architekten zusammen. An einem Modell wurde die passende Wohnung ausgesucht, es gab 24 verschiedene standardisierte Grundrisse als Typologie. »Innerhalb dieser Grundrisse konnte man seine Wohnung dann individualisieren«, sagt Jany. Der Bau des Komplexes mit heute 528 Wohnungen begann 1972. Weil die Kosten aus dem Ruder liefen, wurde der letzte Teil erst 1978 fertiggestellt. »Alle anderen Projekte sind jedoch im finanziellen Rahmen geblieben«, so die Forscherin. Immerhin 47 partizipative Vorhaben wurden zwischen 1964 und 1987 in der Steiermark realisiert. Schluss damit war 1991. »Die Grazer Schule hat jetzt Ferien«, mit diesem Satz beendete der frisch für die FPÖ ins Amt gewählte Landesrat Michael Schmid das Modellprojekt.
»Wie funktioniert es, dass Beteiligung Kultur wird?«, fragt der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm angesichts der Widerstände in der Hauptstadt. »Die Bauträger haben auch beim Modell Steiermark nicht freiwillig mitgemacht. Letztlich hat sie nur die zusätzliche Förderung dazu bewegt«, antwortet Jany. Auch von Planerinnen und Planern höre er immer wieder Vorbehalte gegen die Beteiligung, berichtet Holm. Das Loslassenkönnen von der eigenen Idee sei nun mal »ein Punkt, an dem große Architekten mit einem großen Ego scheitern«, attestiert die Forscherin. In Wien gebe es mittlerweile Büros, die sich darauf spezialisiert haben, die Moderation in solchen Planungsdiskussionen als Schnittstelle zwischen Planung und Bewohnern zu leiten. Das funktioniere eigentlich recht gut.
Ein bisschen Wasser in den Wein schüttet Jany dennoch: »Ich denke, dass die Masse der Bevölkerung es sich gar nicht so wünscht, sich derart einzubringen und dann vielleicht auch noch partizipativ zu wohnen.« Man könne durch das »begleitende Hinschauen« aber sehr viel lernen. Auch viele Erfahrungen des Modells Steiermark hätten sich letztlich im konventionellen Wohnungsbau niedergeschlagen. »Eine erneute Öffnung hin zu vermehrtem partizipativem Wohnbau wäre zu begrüßen«, fordert die Architektin. Sie selbst hatte über ein Jahrzehnt klassisch geplant und gebaut. Und dann für sich festgestellt, dass es so nicht weiter geht.
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