Der »Flügel« hebt ab

Auf dem AfD-Bundesparteitag in Braunschweig wurde eine neue Führungsspitze gewählt

  • Robert D. Meyer, Braunschweig
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer etwas über die Machtverhältnisse in der AfD lernen will, muss in der zweiten Reihe der Partei anfangen. Und damit fast am Ende des ersten Tages auf dem Bundesparteitag in Braunschweig. Während die neue Doppelspitze, bestehend aus dem wiedergewählten Jörg Meuthen und dem neu ins Amt gekommenen Tino Chrupalla, in einer Bar der Volkswagenhalle eine Pressekonferenz abhält, gehen die Vorstandswahlen drinnen im Saal weiter - und die Wünsche des völkischen »Flügels« in Erfüllung.

»Ich möchte gern Björn Höcke vorschlagen, damit er sich eine Klatsche abholen kann«, erklärt ein Delegierter. Einige andere AfD-Mitglieder heben die Hand als Signal der Zustimmung, immerhin braucht jeder Kandidat fünf Unterstützer, um sich um ein Amt bewerben zu können. Als Höcke von der Sitzungsleitung gefragt wird, ob er tatsächlich antritt, sagt der Thüringer AfD-Landeschef nur ein Wort. Es ist Höckes einzige Äußerung vor dem Plenum an diesem Tag. Seine Antwort lautet: »Nein.«

Das Aushängeschild des völkischen Flügels lässt sich auf keine Provokation seiner Gegner ein. Höcke hat erreicht, was er an diesem Wochenende wollte. Seine eifrigsten Widersacher sind nicht mehr Teil des Sprecherkreises. Der bisherige Stellvertreter Albrecht Glaser scheitert, verliert die Wahl gegen den »Flügel«-Vertreter Stephan Brandner, einen der schärfsten Rhetoriker in der Partei. Georg Pazderski, Berliner AfD-Landeschef und bisher eine der lautesten Stimmen gegen Höcke, wird vom fast unbekannten bisherigen Beisitzer Stephan Protschka ausgebremst. Auch der Bayer steht dem »Flügel« nahe.

Weil keiner in zwei Wahlgängen die notwendige Mehrheit erhält, beginnt das Prozedere der Wahl des dritten Stellvertreters von vorne. Pazderski erkennt die Ausweglosigkeit, zieht zurück. An seine Stelle tritt Beatrix von Storch, die sich am Ende in einer Stichwahl sehr knapp durchsetzt. Protschka muss sich darüber nicht lange ärgern. Am Sonntag wählt ihn der Parteitag wieder zum Beisitzer.

Der »Flügel« hat bei von Storch ebenso wenig zu befürchten wie von Alice Weidel, die zuvor bei der Wahl zur ersten Vizesprecherin die Einzige ohne Gegenkandidaten an diesem Tag bleibt. Dass dem so ist, dürfte mit dem Nichtangriffspakt zu tun haben, der seit dem Sommer zwischen Weidel und den völkischen Nationalisten gilt. In den letzten Monaten bemühte sich die Ökonomin erkennbar, beim »Flügel« zu punkten, trat etwa im September beim stramm völkischen »Institut für Staatspolitik« in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) auf, wo Höcke und der Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz Stammgäste sind.

Auch einem Anti-Höcke-Papier von 100 AfD-Funktionären, unterschrieben auch von den in Braunschweig gescheiterten nun Ex-Parteivizes Glaser und Pazderski, verweigerte Weidel die Unterschrift, obwohl sie noch vor zwei Jahren zu den schärfsten Gegenspielerinnen des Thüringer AfD-Chefs gehörte. In Braunschweig ist von einer »Flügel«-Kritikerin Weidel nichts mehr zu hören.

Sie ist eine der großen Gewinnerinnen dieses Parteitags. Dabei hatte es für die Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag noch im Frühjahr schlecht ausgesehen, ist die 40-Jährige doch in eine Parteispendenaffäre verwickelt, die bis heute nicht aufgeklärt ist. Obwohl das große Chaos ausblieb, zeigte auch dieser Bundesparteitag, wie unberechenbar die Delegierten sein können.

Während Meuthen seine Wahl zum Co-Sprecher gegen Nicole Höchst und den absolut chancenlosen Antisemiten Wolfgang Gedeon geradezu souverän mit 69 Prozent gewinnt, muss Chrupalla mehr zittern, als es die Vielzahl prominenter AfD-Unterstützer für den 44-jährigen Sachsen hätten vorher vermuten lassen. Der in Braunschweig als Parteivorsitzender abgetretene Alexander Gauland hatte sich ebenso für Chrupalla starkgemacht, wie Weidel, Kalbitz und Höcke.

Letzterer wirbt für den Malermeister und Bundestagabgeordneten vor der Wahl am Samstag in Interviews, betont dessen Organisationstalent und »gute Arbeit«, nennt ihn eine Stimme des Ostens. Trotz dieser Lobeshymnen gelingt Chrupallas Marsch an die Parteispitze nicht ohne Blessuren. Gegen ihn treten der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio und die niedersächsische AfD-Landeschefin Dana Guth an. Die beiden Männer müssen in die Stichwahl, erst jetzt setzt sich Chrupalla durch. Als seine 54,51 Prozent verkündet werden, bricht Jubel in den Reihen der ostdeutschen Landesverbände aus, die sächsischen Delegierten stimmen »Tino, Tino, Tino«-Sprechchöre an, liegen sich in den Armen und feiern, als hätten sie eben die gesamte Partei übernommen.

Irgendwie stimmt das auch ein wenig: Obwohl Chrupalla seine Unabhängigkeit vom »Flügel« betont, ist er in den ostdeutschen Landesverbänden bestens vernetzt, wo ohne die Völkischen um Höcke, Kalbitz und den sächsischen AfD-Chef Jörg Urban in der Partei nichts geht. Und der Neue an der Parteispitze knüpft da an, wo schon sein Vorgänger Gauland die Partei strategisch neu positionieren will. »Wir sind nicht extrem, wir sind extrem vernünftig«, behauptet Chrupalla in seiner Bewerbungsrede über die AfD und mahnt: »Mit drastischer Sprache« erreiche man oft das Gegenteil. Unisono wird er mit Meuthen am Samstagabend erklären, ihre Partei müsse regierungsfähig werden. Schließlich wisse man nicht, ob es bereits 2020 Neuwahlen im Bund gibt.

Derselbe Chrupalla, der erklärt, die »bürgerliche Mitte« erreichen zu wollen, kann aber auch ganz anders. Wie der MDR am Freitag berichtete, verschickte Chrupalla im Januar ein Schreiben an seinen AfD-Kreiserband Görlitz und rief dazu auf, Medienvertreter zu denunzieren: »Hintergrundinformationen über als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten sind natürlich immer willkommen«, heißt es darin.

Wie gut er mit dem »Flügel« kann, zeigt sich Sonntagmittag: Kalbitz tritt wieder als Beisitzer an, besiegt den bisherigen Parteivize und Höcke-Kritiker Kay Gottschalk. Erneuter Jubel bei den Völkischen, Standing Ovations für Kalbitz, viele Gratulanten. Ganz vorne dabei: Tino Chrupalla, der neue AfD-Parteichef.

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