- Politik
- Braunkohle
Politik wie auf dem Schachbrett
Klimaschützer und Lausitzer Kohle-Kumpel streiten. Die Industrie ist fein raus.
»Die machen es sich zu einfach. Politik ist viel komplizierter«, meint Julius Gilbert vom SPD-Ortsverband Cottbus Nord. Der 23-Jährige ist vor zwei Jahren zum Studieren aus der Eifel hergezogen. Jetzt steht er vor dem Kohlekraftwerk Jänschwalde und verteilt Plätzchen und Kaffee an die Demonstrant*innen einer Mahnwache. Rund 50 Kohlebefürworter*innen haben sich hier am Protestwochenende um ein kleines Feuer aus Holz und Kohlebriketts versammelt.
Schwarz gegen Weiß
Viele haben sich schwarze Overalls übergezogen, als Anspielung auf die weißen Maleranzüge der Kohle-Blockierer*innen. Die Stimmung ist aufgeheizt. »Passt auf, hier sind viele Nazis unterwegs«, ruft einer von ihnen ironisch. »Ohne uns bleibt euer Soja Latte kalt«, steht auf einem Schild. Von den Blockadeaktionen von »Ende Gelände« halten sie nichts, Krawall wollen sie jedoch nicht machen, sagen sie. »Wir hören auf die Polizei. Wir stehen für Recht und Ordnung«, sagen die Männer in den schwarzen Overalls.
Die schwarze Traube um das Kohlefeuer besteht hauptsächlich aus Mitarbeiter*innen des Braunkohle-Unternehmens LEAG. Auf der Mahnwache wollen sie ein Zeichen setzen, gegen die Blockaden von »Ende Gelände« und für die Einhaltung des im Kohlekompromiss vereinbarten Ausstiegs bis zum Jahr 2038.
Christian Fünfgeld ist Vorsitzender des SPD-Ortsverbandes Nord und in der Entwicklung innovativer Energielösungen bei LEAG tätig. Die bisherige Klimapolitik sieht er kritisch. »Da gibt es sicherlich viele Dinge, die man hätte anders machen können, in den letzten zehn, 20 Jahren.« Diese Fehler könne man aber nicht »spontan heilen«, erst recht nicht zulasten der Menschen in der Lausitz. »Der Adressat ist Berlin. Aber bei uns ist der Aufruhr«, beschwert er sich. »Die Menschen hier brauchen Zeit, sich umzustellen.«
Weiß gegen Schwarz
Die Aktivist*innen von »Ende Gelände« setzen sich mit ihren weißen Anzügen nicht nur farblich von den Kohlebefürworter*innen ab. Zeit für die Umstellung gab es in ihren Augen genug. »Wir brauchen einen sofortigen Kohleausstieg und einen schnellen und gerechten Strukturwandel«, sagt die Sprecherin des Bündnisses, Nike Mahlhaus. Um das zu erreichen, breche man auch bewusst Gesetze. »Ziviler Ungehorsam ist notwendig, um soziale Veränderungen herbeizuführen.« Den Glauben daran, mittels Parteipolitik etwas erreichen zu können, haben viele längst aufgegeben. Beim Klimawandel müsse man »Demokratie neu denken, auch abseits von der Parteipolitik«, findet Mahlhaus.
Verhärtete Fronten
Die Kommunikation zwischen den beiden Lagern gestaltet sich angesichts der unterschiedlichen Positionen schwierig. »Wir sprechen so viel übereinander, aber nicht miteinander. Beim Reden fehlt das Gegenüber«, kritisiert Fünfgeld. Ende Gelände hatte im Vorfeld bei einer Podiumsdiskussion versucht, mit den Lausitzer*innen ins Gespräch zu kommen. »Es war wichtig, dass wir da waren. Vielleicht konnten wir ein paar Ängste der Bevölkerung nehmen«, hofft Kohlegegnerin Mahlhaus. Die Menschen auf der Mahnwache bestätigen das: »Ich hatte das Gefühl, dass von ›Ende Gelände‹ die Sorgen der Bevölkerung ernst genommen wurden«, sagt Fünfgeld.
Abseits der Podiumsdiskussion sind die Fronten verhärtet. So seien Kollegen von ihm von Teilnehmer*innen einer Klimademonstration als Nazis beschimpft worden, berichtet LEAG-Mitarbeiter Fünfgeld. Aber auch gegen die Kohlegegner*innen in ihren weißen Maleranzügen würde gezielt Stimmungsmache betrieben, berichtet der Umweltaktivist René Schuster. Kohlebefürworter*innen schürten gezielt Angst in der Bevölkerung. Insbesondere aus der rechten Szene heraus würden Klimaaktivist*innen zum Feindbild und zum Ziel von Gewalt erklärt.
Auch die Menschen in den schwarzen Overalls berichten von einem Klima der Angst durch »gewalttätige Aktivisten« und »die Antifa«. Auf der Gleisblockade sieht man allerdings bloß Menschen in weißen Anzügen, die singen, tanzen und akrobatisches Yoga machen. »Von uns wird keine Eskalation ausgehen, wir gefährden keine Menschen«, betont »Ende Gelände«.
Stimmungsmache von außen
Die Angst auf beiden Seiten wird auch von außen geschürt. Sobald sich die schwarzen und weißen Overalls annähern, werden die Gruppen von der Polizei getrennt. René Schuster von der Grünen Liga sieht auch die Landesregierung in der Verantwortung. Mehr als zehn Jahre habe diese die Braunkohle für unverzichtbar erklärt, ohne den Menschen eine alternative Zukunft aufzuzeigen, kritisiert er. Klimaschützer und Kumpel streiten über die Kohle. Zwei Fronten, schwarz und weiß gekleidete Figuren, stehen sich gegenüber wie auf einem Schachbrett. Der lachende Dritte ist die Kohleindustrie. »Die LEAG ist in diesem Spiel fein raus«, ärgert sich Schuster.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.