Der vierte Weg

Gemeinschaftseigentum, Green Deal, Vier-Tage-Woche - für Labours Wahlprogramm gibt es viel Lob von Links.

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Marx und iPad in die Downing Street«, witzelte die wirtschaftsnahe »Frankfurter Allgemeine Zeitung« über das Programm der britischen Labour Party für die Wahlen am kommenden Donnerstag. Tatsächlich sucht diese jenseits des Neoliberalismus einen »neuen Konsens«. Und der werde zu einer Richtschnur für Europas Linke, hofft Christine Berry. Die Ökonomin hat an dem Wahlprogramm mit dem Titel »It’s time for real Change« mitgewirkt. In dem radikalen linken Konzept zur Umgestaltung der Wirtschaft spielen Genossenschaften, öffentliches Eigentum und Wirtschaftsdemokratie die zentrale Rolle.

Labours »Manifesto« baut auf dem ersten Corbyn-Programm aus dem Jahr 2017 auf. Damals wurden bereits klassische Forderungen wie die Verstaatlichung der Eisenbahn sowie der Wasser- und Energieversorgung erhoben. Nun werde vielleicht zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte von Labour der Kampf gegen die Klimakatastrophe zum Herzstück eines Parteiprogramms erklärt, schreibt Berry in einer Analyse für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Doch ein »Green Deal« allein reiche nicht aus, um über die bisherige Programmatik grüner, sozialdemokratischer und linker Parteien in Europa hinauszuweisen.

Labour geht es um das »Wie«. Neue Institutionen sollen geschaffen werden, die sich in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand befinden. Mit ihrer Hilfe will Corbyn Großbritanniens Gesellschaft und Wirtschaft, die einseitig auf London fixiert ist, dezentralisieren und demokratisieren. Beispielsweise hat sich Labour verpflichtet, ein neues öffentliches Bankensystem einzuführen, welches die Provinz wieder mit alltäglichen Gelddienstleistungen versorgen kann. Die dominierenden privaten Großbanken sollen dagegen zu einer sozial-ökologisch ausgerichteten Kreditvergabe gezwungen werden. Corbyn will die »City« von London, den größten Finanzplatz weltweit, nachhaltig machen. Der Finanzsektor soll vom »Herren aller« zum Diener der produktiven Wirtschaft umgewandelt werden.

Das Bankensystem betrachtet Labour als eine entscheidende Infrastruktur des 21. Jahrhunderts - die andere ist das Internet. Im Mittelpunkt von Corbyns politischem Projekt steht daher die Suche nach neuen Möglichkeiten, um die wesentlichen Strukturen im Netz einer kollektiven Kontrolle zu unterwerfen. Beispielsweise soll allen Bürgern ein kostenfreier Breitbandanschluss zur Verfügung gestellt werden. Labour will damit zugleich den Vorwurf widerlegen, man wolle in eine ferne Vergangenheit zurück.

Corbyn will außerdem den »Aufbau von Gemeinschaftseigentum« fördern. Öffentliche Gelder, etwa aus städtischen Pensionskassen, sollen nicht mehr in der »City« verschwinden, sondern dem lokalen Wirtschaftskreislauf erhalten bleiben. Eine Idee, die sich am »Modell Preston« orientiert: Nach der Finanzkrise setzte die deindustrialisierte Stadt in Nordengland in ihrer Wirtschaftspolitik auf kleine alteingesessene Unternehmen, statt auf große Konzerne, die kommen und gehen. Die Mehrheit hatte genug vom Finanzkapitalismus. Mit Erfolg: Preston wurde in einer Studie zum Spitzenreiter unter den aufstrebenden Städten in Großbritannien gewählt.

Corbyns Manifest wird auch unter Linken in Deutschland stark diskutiert. »Es geht um Ordnungspolitik. Dazu gehört in erster Linie eine Demokratisierung der Wirtschaft«, hebt etwa der Ökonom Heinz-J. Bontrup, Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, hervor. In der Ausweitung des öffentlichen Eigentums, in Mitarbeiterbeteiligung am Mehrwert und Eigentumsfonds in Großunternehmen, die unter kollektiver Kontrolle der Belegschaften stehen, sieht Bontrup einen »fundamentalen Angriff auf eine marktwirtschaftlich-kapitalistische Ordnung und seine heute praktizierte neoliberale Variante«. Dies gelte auch für die Einführung einer Vier-Tage-Woche - statt die zunehmende Produktivität für mehr Wachstum einzusetzen. »Dies wäre ein ordnungstheoretischer Quantensprung für Europa«, sollte Labour die Wahl gewinnen und das Manifest würde unter Corbyn tatsächlich umgesetzt werden.

Während die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung vornehmlich die ausweichende Haltung Labours »zum rechtspopulistisch orchestrierten Brexit« bemängelt, gibt es Lob von der Rosa-Luxemburg-Stiftung: »Die Labourpartei hat es geschafft, zu vielen Themen einen Konsens zwischen Partei, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen herzustellen«, hebt Johanna Bussemer hervor. Die Leiterin des Londoner Büros der linksparteinahen Stiftung erklärt, durch diesen Schulterschluss konnten Positionen entwickelt werden, »die außerhalb dessen liegen, was in anderen Parteiprogrammen in Europa formuliert wird«.

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Und so eröffnet Corbyns Wahl-Manifest Raum für einen umfassenden Dialog über die Zukunft. 40 Jahre nach den marktorientierten Reformen von Premierministerin Margaret Thatcher diskutiert Großbritannien nun endlich wieder über Wirtschaftspolitik.

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