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Madrid, wie es standhielt

Ein großer Roman aus dem Spanischen Bürgerkrieg erscheint mit sieben Jahrzehnten Verspätung

  • Ralf Höller
  • Lesedauer: 6 Min.

Schauen Sie sich das Haus gut an, Johnson, dort werden Sie von jetzt an den Hauptteil ihrer Zeit verbringen. Die Presse und die Zensur sind dort zu Hause. Es ist das höchste Haus von Ma᠆drid und die beste Zielscheibe für die Nationalisten.»

Das Haus ist die Telefonzentrale Madrids, und Johnson soll für eine britische Zeitung vom Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) berichten. Der tobt seit Monaten nicht nur in der Hauptstadt. Die Aufständischen unter General Franco haben sich im Nordosten und in Andalusien festgesetzt. Um Madrid haben sie einen Belagerungsring gezogen. Bei den Bombardements sterben täglich Dutzende. Madrid wird fallen, prophezeien Johnson und seine Kollegen immer wieder. Doch Madrid fällt nicht.

Symbolisch für den Verteidigungskampf und titelgebend für Ilsa Barea-Kulcsars Roman «Telefónica» steht die Telefonzentrale Madrids. Der 13-stöckige Riesenkasten ist gerade mal einen Kilometer von der Front entfernt. Die Flugabwehrgeschütze auf dem Dach sind veraltet und die Jagdflieger, die Francos Bomber attackieren sollen, zu spärlich. Unterstützt werden die Aufständischen von Mussolini und Hitler, die Teile ihrer Luftwaffe samt Piloten nach Spanien entsandt haben. Die gewählte spanische Regierung, von Europas Demokratien im Stich gelassen, erhält nur Unterstützung durch die Sowjetunion - und muss diese teuer mit ihren Goldreserven bezahlen. Allein von ihrem Idealismus getrieben, verteidigen zudem Freiwillige aus vielerlei Nationen die Spanische Republik.

Eine von ihnen ist die deutsche Journalistin Anita Adam. Sie arbeitet in der Zensurbehörde der Telefónica. Ihre Aufgabe ist es, zu verhindern, dass über Zeitungsberichte militärisch verwertbare Informationen an den Feind gelangen. Offenbar arbeitet ihre Abteilung sehr erfolgreich, denn Madrid wird auch die nächsten Jahre nicht fallen, bis fast zum Ende des Bürgerkriegs.

Die Handlung spielt während vier Tagen im Dezember 1936. Sie ist wie ein Kammerspiel angelegt, ohne den formalen Grenzen eines Theaterstücks zu unterliegen. Alles spielt sich in den verschiedenen Stockwerken der Telefónica ab, die die Protagonisten nur nachts verlassen. Manche schlafen auch am Arbeitsplatz. Die Keller des Gebäudes sind zudem ständig belegt mit Familien, die vor den Faschisten geflüchtet sind.

Die Situation ist also angespannt. Hinzu kommen die Zwistigkeiten unter den Verteidigern der Telefónica - eine Art Mikrokosmos des Bürgerkriegs. Kommunisten, Sozialisten, unabhängige Marxisten und Anarchisten misstrauen sich, belauern sich, giften sich an. Mittendrin ist Anita, die mit allen auskommen muss und Gefahr läuft, in diesem Streit auf der Strecke zu bleiben. Einmal entgeht sie nur knapp einer Liquidierung, als ein kommunistischer Agent ihr «den »Spaziergang geben« will, wie der hinterrücks ausgeführte Fangschuss beschönigend genannt wird.

Anita überlebt, weil sie lernt, worauf es ankommt: eine persönliche Beziehung zu all jenen herzustellen, mit denen sie es zu tun hat, ohne diesen nach dem Mund zu reden und die eigene Würde zu verlieren. Sehr bald wird ihre Arbeit von den meisten anerkannt und auch wertgeschätzt, da sie ihren Zweck erfüllt, ohne die Wahrheit abzuwürgen. Der Respekt für die Person wächst automatisch mit.

Auch andere Protagonisten im Roman durchlaufen einen Lernprozess. Ein Journalist gibt seine Neutralität auf, nachdem er die Opfer sieht, die ein faschistisches Bombardement gefordert hat. Einige der Frauen im Keller, die bislang brav die Weibchenrolle in der männerdominierten spanischen Gesellschaft ausgefüllt haben, nehmen sich die emanzipierte Anna zum Vorbild, machen sich für die Gemeinschaft nützlich und entwickeln neues Selbstbewusstsein. Die Anarchisten in der Telefónica, nur ungern von politischen Kommissaren bevormundet, revidieren ihr Urteil über die Deutsche, weil sie erkennen, dass sich mit ihr auch ganz pragmatisch Lösungen finden lassen, unter Gleichberechtigten.

Trotz all der didaktischen Ansätze ist der Roman keinesfalls schematisch oder gar langweilig. Ilsa Barea-Kulcsar wechselt Perspektiven, flicht Beschreibungen ein, variiert das Tempo, beherrscht den reflektierenden inneren Monolog ebenso wie den handlungstreibenden Dialog, entwickelt ihre Figuren und lässt sie manchmal ratlos zurück.

Eine männliche Hauptperson gibt es auch. Zwischen Agustín Sánchez, dem Kommandanten, und Anita entspinnt sich eine Liebesgeschichte, obwohl Sánchez neben einer Ehefrau auch eine Geliebte hat, die beide ebenfalls in der Telefónica einquartiert sind. Hier liegt die einzige Schwäche des Romans: Während Paquita, die Geliebte, neben Schablonenschönheit und Intrigantentum, das mehr der Unbekümmertheit denn reiner Bosheit geschuldet ist und sie einen Rest an Sympathie ausstrahlen lässt, auch mit einigen Vorzügen aufwarten kann, ihrer Furchtlosigkeit und Direktheit beispielsweise, wird die Ehefrau Pepita nur holzschnittartig dargestellt: als verwöhnte Bürgertochter, die in Kategorien denkt und sich in ihrem Gattinnenstatus sakrosankt wähnt.

Von diesem Detail abgesehen, ist Ilsa Barea-Kulcsar ein großer Wurf gelungen. Der Roman taucht zwar in eine ganz andere Zeit ein, wirkt aber ebenso zeitlos, indem er anschaulich die beklemmende Atmosphäre und entstehende Konflikte zwischen Eingeschlossenen schildert, die sich freiwillig in eine Situation begeben haben, aus der es so leicht kein Entrinnen gibt.

Fragt sich, warum die Autorin nicht einen ähnlichen Ruf genießt wie - sagen wir mal - ein George Orwell, André Malraux, Ernest Hemingway oder Gustav Regler. Auch diese Schriftsteller haben sich literarisch mit ihrer Spanien-Erfahrung auseinandergesetzt, ohne dass die Qualität ihrer Werke diejenige des Romans von Ilsa Barea-Kulcsar überragen würde, Orwells »Mein Katalonien« vielleicht ausgenommen. Gerade Hemingway wird in seinem längsten und nicht unbedingt besten Roman »Wem die die Stunde schlägt« manche Sentimentalität nachgesehen. Die stets stilsichere Barea-Kulcsar wurde dagegen kaum wahrgenommen. Vielleicht, weil Kriegsromane von Männern geschrieben werden müssen?

Zum Glück hat der Österreicher Georg Pichler, der in Madrid als Professor für Germanistik arbeitet, »Telefónica« wieder ausgebuddelt. In seinem Nachwort versucht er, Antworten darauf zu finden, warum der verdiente Erfolg ausblieb. Am Talent hat es wohl kaum gelegen. Auch ist der weitere Lebensweg der Autorin, der sie wie ihre Figur Anita nach Spanien geführt hat, typisch für die Schicksale zahlreicher Antifaschisten nach dem Bürgerkrieg.

Über Paris ging Ilsa Barea-Kulcsar zusammen mit ihrem Partner, der im wirklichen Leben Arturo Barea hieß, aber tatsächlich Kommandant der Telefónica war, ins Exil nach England. Sie verdiente als Dolmetscherin kaum den Lebensunterhalt für die gesamte Familie, zu der auch ihre knapp geretteten jüdischen Eltern zählten. Viel Zeit fürs Schreiben blieb nicht, erst recht nicht, nachdem Arturo in der Nacht zu Heiligabend 1957 einem Herzinfarkt erlag.

Acht Jahre später ging Barea-Kulcsar nach Österreich zurück. In Wien kam sie bei der Gewerkschaft unter, als Bildungsfunktionärin. Ihr großes Ziel, »Telefónica« als Roman zwischen Buchdeckeln erscheinen zu lassen, erfüllte sich nicht. Zusätzlich warfen sie gesundheitliche Probleme zurück. Die Krankheiten nahmen zu, die Produktivität nahm ab.

Ilsa Barea-Kulcsar starb am Neujahrstag 1973. Sie war nur 70 Jahre alt geworden. So blieb es bei der einzigen Veröffentlichung von »Telefónica« in der Wiener »Arbeiter-Zeitung«, in Etappenform im Frühjahr 1949. Sieben Jahrzehnte später ist der Autorin, wenn auch posthum, doch noch so etwas wie Gerechtigkeit widerfahren.

Ilsa Barea-Kulcsar: Telefónica. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Georg Pichler. Edition Atelier (Wien), 352 S., geb., 21,99 €.

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