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Die Klimakrise ist bereits Realität
Anke Herold über Hitzerekorde, Hoffnungsträger und den europäischen Green Deal
Dieses Jahr war wie keines zuvor von der Klimapolitik geprägt. 2019 wurde deutlich, dass die Klimakrise nicht erst in ferner Zukunft stattfindet, sondern Teil unserer Realität ist: Im Sommer wurden in Deutschland und Europa wieder Hitzerekorde gebrochen, lange Dürreperioden führten zu massiven Schäden in unseren Wäldern, der Wirbelsturm Idai hinterließ mehr als 1300 Todesopfer in Mosambik und den umliegenden Ländern und Hurrikan Dorian zerstörte die Bahamas. Feuer in nie dagewesenem Ausmaß wüteten zu Jahresbeginn in Kalifornien und wüten nun in Australien, aber auch Brandenburg verzeichnete den größten Waldbrand in der Geschichte des Landes.
Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein deutliches Handlungsdefizit. Und jedes Jahr des Nicht- oder zu wenig Handelns bringt uns näher an globale Kipppunkte mit Veränderungen, die wir nicht mehr rückgängig machen können. Dieser tiefe Graben zwischen dem dringend notwendigen und dem tatsächlichen Handeln brachte Millionen Jugendliche in Deutschland, Europa und vielen anderen Ländern auf die Straßen. Greta Thunberg wurde zur Inspiration für viele Menschen, die die verbleibende Zeit nutzen wollen, um die Klimakrise zu stoppen. Die Fridays For Future wurden zu den Hoffnungsträgern im vergangenen Jahr.
Die deutsche Politik haben diese kreativen Proteste leider nur wenig bewegt. Das Kohleausstiegsgesetz ist immer noch nicht unter Dach und Fach, sondern wird voraussichtlich erst im März 2020 im Bundestag beschlossen - mehr als ein Jahr nach dem Kompromiss der Kohlekommission. Die Regelungen zu den erneuerbaren Energien aus dem Klimapaket - insbesondere die umstrittene Mindestabstandsregelung für Windenergieanlagen - gefährdet das Ökostromziel von 65 Prozent im Jahr 2030 und viele Arbeitsplätze in der Windindustrie. Eine gerade veröffentlichte Umfrage des Welt-Energierats zeigte, dass nur elf Prozent der EU-Energieexperten die deutsche Energiewende als Vorbild für die Welt sehen und nur 14 Prozent glauben, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 erreichen wird.
Die Umwelt Europas befindet sich an einem Scheidepunkt. Wir haben in den nächsten zehn Jahren ein enges Zeitfenster, um Maßnahmen zum Schutz des Klimas und der Biodiversität auszuweiten und unseren Verbrauch an natürlichen Ressourcen drastisch zu reduzieren. Wir verfügen bereits über das Wissen, die meisten Technologien und die Instrumente, die wir brauchen, um wichtige Produktionssysteme und Konsumbereiche wie Stromerzeugung, Mobilität oder Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten. Unser Wohlstand hängt entscheidend davon ab, ob wir dieses Wissen auch nutzen und die ganze Gesellschaft dafür gewonnen werden kann, die notwendigen Veränderungen zu unterstützen und eine bessere Zukunft zu gestalten.
Entscheidend wird im kommenden Jahr die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung des European Green Deals sein. Dieser enthält viele wichtige Elemente. Dazu gehören schärfere Klimaziele in der EU für 2030 und 2050, die Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen sollen, 100 Milliarden Euro Investitionen in den Umbau zu einer klimaneutralen Gesellschaft sowie eine Reform der Energiebesteuerung, um endlich die Subventionierung fossiler Energien einzuschränken. Der Emissionshandel soll auf die internationale Schifffahrt ausgeweitet werden, Kommunen und regionale Akteure durch einen neuen Klimapakt gestärkt werden. Wenn der European Green Deal gelingt, könnten auch andere Staaten zum Umsteuern bewegt werden und ein mutiges Europa könnte eine neue Führungsrolle einnehmen.
Das nächste Jahrzehnt muss zu einer Dekade werden, wo die Staaten sich gegenseitig übertreffen im Ausbau der erneuerbarer Energien, weil diese die günstigste Energieerzeugung darstellen, und Haushaltsmittel aus dem Import von Öl und Gas für andere Zwecke freisetzen. Eine Dekade, in der Passivhäuser oder Plusenergiehäuser zur Regel werden, weil Energieeffizienz endlich richtig gefördert wird und dabei Wohnkosten gesenkt werden, wenn viel weniger geheizt werden muss.
Künftige Ausgaben des »Time Magazin« werden hoffentlich Politikerinnen oder Politiker zieren, die die Nettonullemissionen ihrer Länder schneller als geplant erreicht haben, die ärmeren Teile der Bevölkerung dabei finanziell entlastet und einen Technologievorsprung durch nachhaltige Technologien erreicht haben.
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