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»Die Leute wollen was bewegen«
Bürgerhaushalte sorgen in Hoyerswerda und Eberswalde für Beteiligung der Einwohner
Das Gerätehaus der Feuerwehr in der Altstadt von Hoyerswerda ist seit Kurzem frisch gestrichen. Die zuvor graue Fassade leuchtet in zartem Gelb, von dem sich fünf rote Tore abheben. Die optische Verschönerung haben nicht die Stadträte oder der Bürgermeister beschlossen, sondern die Einwohner. Bei der Abstimmung zum ersten Bürgerhaushalt in der sächsischen Stadt erhielt ein entsprechender Vorschlag 254 Stimmen: Platz 4. »Ich hätte nicht gedacht, dass es Bürger kümmert, wie das Feuerwehrhaus aussieht«, sagt Sven Keitsch, »aber ihnen war sehr an einer Verschönerung gelegen.«
Keitsch, ein 33 Jahre alter Finanzbeamter, gehört zu einer Gruppe aus Bürgern, Stadträten und Rathausmitarbeitern, die in der Lausitzstadt die ersten Gehversuche mit einem Bürgerhaushalt steuern. Im März konnten Einwohner erstmals direkt entscheiden, wofür in der Stadt und ihren Ortsteilen Geld ausgegeben wird. Zur Verfügung stand ein Budget von 140 000 Euro. Es speist sich aus zwei Jahresraten einer Pauschale in Höhe von 70 000 Euro, die der Freistaat den Kommunen außerplanmäßig für die Jahre 2018 bis 2020 zahlt. An der Abstimmung über das erste Bürgerbudget in Hoyerswerda nahmen gut 2000 der 38 000 Einwohner teil. Zuvor waren 180 Vorschläge aus der Bürgerschaft eingereicht worden. Neun Monate später sind zahlreiche Ideen bereits ganz oder zum Teil umgesetzt: gepflasterte Gehwege, Sitzbänke am Ufer der Schwarzen Elster, Lichtmasten an einem Sportplatz. 2500 Euro gab es für ein historisches Hoffest.
Mit Bürgerhaushalten sollen Bürger stärker an der Politik in ihrer Stadt oder Gemeinde beteiligt werden. Viele fühlten sich »abgehängt«, sagt Sven Keitsch. Wo investiert wird, entscheide sich in Stadtrat, Kreis, bei der Landesregierung oder in Brüssel; gleichzeitig »ärgern sich Bürger, dass der Weg vor ihrem Haus voller Schlaglöcher ist«. Bürgerbudgets eröffneten die Gelegenheit, »zu machen statt zu meckern«, sagt Antje Naumann, die für die Grünen im Stadtrat von Hoyerswerda sitzt. Zugleich, sagt Sven Keitsch, hielten sie einen Lerneffekt bereit: »Die Bürger merken, wie teuer etwa ein Meter Gehweg oder eine Sitzbank ist.« Sie lernen, dass Prioritäten gesetzt und Mehrheiten für konkrete Projekte organisiert werden müssen: »Das ist Demokratie.«
Die Idee, Bürger an finanziellen Entscheidungen der Kommune zu beteiligen, ist nicht neu. Ursprünglich gab es die Vorstellung, ihnen direkten Einfluss auf die Schwerpunktsetzung in Verwaltungs- und Investitionshaushalten zuzubilligen - millionenschwere Budgets, die Zwängen und Vorgaben gerecht werden müssen. »Ein Irrweg«, sagt Lars Stepniak, der im Rathaus Eberswalde für den Bürgeretat zuständig ist. Die Stadt in Brandenburg erprobte von 2008 bis 2011 die Variante, bei der man für fundierte Vorschläge »fast Verwaltungsexperte sein muss«, so Stepniak. Folge: Die Beteiligung war äußerst mau.
Seit 2013 wird ein neues Verfahren angewandt. Bürger können nun verbindlich entscheiden, wofür ein Budget von derzeit 100 000 Euro - das entspricht 2,50 Euro je Einwohner - verwendet werden soll. Es gibt wenige Vorgaben; so dürfen einzelne Vorschläge einen Kostenrahmen von 15 000 Euro nicht übersteigen, um zu gewährleisten, dass eine Mindestzahl an Projekten pro Jahr umgesetzt wird. Die Nutznießer können innerhalb von drei Jahren nicht erneut bedacht werden, damit möglichst viele zum Zuge kommen. Insgesamt sei für eine breite Beteiligung ein leicht zu erklärendes Verfahren wichtig, sagt Stepniak. Die entsprechende Satzung in Eberswalde umfasst 681 Wörter, »weniger als die Bedienungsanleitung für eine Kaffeemaschine«.
Ein besonderer Höhepunkt ist in Eberswalde die Abstimmung, die wie eine Wahl inszeniert ist und zugleich Volksfestcharakter hat. Am »Tag der Entscheidung«, diesmal am 7. September, waren die Bürger zur Stimmabgabe in der Stadthalle eingeladen. Dafür erhalten sie je fünf Stimmtaler. »Bei uns hat jede Stimme Gewicht«, sagt Stepniak: »exakt 47,75 Gramm.« Sie werden auf Vasen verteilt, die in diesem Jahr für 103 Vorschläge standen. An der Abstimmung beteiligten sich 2073 der gut 41 000 Bürger - ein guter Wert, sagt Stepniak: »Wenn bei einem Bürgerhaushalt fünf Prozent der Einwohner mitmachen, ist das Champions League.« Zehn Prozent waren junge Frauen, viel mehr als bei anderen Formen der Bürgerbeteiligung, etwa rund um Bauplanungen.
Eberswalde gehört inzwischen zu den »Großvätern« in Sachen Bürgerhaushalt, sagt Stepniak, gemeinsam mit Städten wie Bonn, Stuttgart oder dem Berliner Bezirk Lichtenberg. Insgesamt praktizieren laut dem Portal buergerhaushalt.com 71 Kommunen in der Bundesrepublik das Verfahren. Allerdings hat der Deutsche Städtetag 3400 Mitglieder. Stepniak warnt vor einer »Beteiligungsromantik«. Das Instrument bedürfe guter Organisation und einer für Ideen offenen Verwaltung; zudem scheine es in Großstädten weniger gut zu funktionieren als in kleinen und mittelgroßen: »Dort wird ein Bürgerhaushalt leichter zum Stadtgespräch.« In Brandenburg gibt es inzwischen viele Kommunen mit Bürgerbudgets, die an einem Runden Tisch ihre Erfahrungen austauschen. Generell gebe es aber in der Bundesrepublik »mehr gestorbene als lebendige Bürgerhaushalte«.
Der in Hoyerswerda gehört zu den neuen - und soll fortgesetzt werden. Für 2020 kamen aus der Bürgerschaft 129 Ideen. Die abschließende Liste beschloss der Stadtrat im Dezember; vom 6. bis 27. Januar kann per Stimmschein abgestimmt werden. Zu den Vorschlägen gehören eine Auffahrt, damit die Ausgabestelle der »Tafel« besser für Rollstuhlfahrer erreichbar wird; der Bau von Spiel- und Bolzplätzen - und digitale Geschwindigkeitsanzeigen an Durchfahrtsstraßen in zwei Ortsteilen.
Und auch 2021 soll es einen Bürgerhaushalt geben - obwohl offen ist, ob es erneut einen Scheck vom Freistaat gibt, und Hoyerswerda im Vergleich zum im Berliner Ballungsraum gelegenen Eberswalde eher arm ist. Eigentlich ist in der Stadt, die in der DDR als Wohnstadt für das Kombinat Schwarze Pumpe rasant wuchs, aber seit 1989 dramatisch an Einwohnern verlor, kaum Geld für das Notwendigste da. Gleichzeitig habe sich das Bürgerbudget aber als gute Möglichkeit erwiesen, um die Zufriedenheit der Bürger mit der Stadtpolitik zu verbessern - und ihr Engagement zu fördern. »Viele sagen nicht: Baut uns mal etwas hin«, sagt Sven Keitsch, »sondern sie sagen: Bezahlt uns das Material, und wir machen es selbst.« Stadträtin Antje Naumann stimmt zu: »Die Bürger wollen etwas bewegen.« Und das müssen keine Millionen sein.
Bürgerhaushalt und Bürgerbeteiligung sind Schwerpunktthema eines neuen Quartalsmagazins, das vom Kommunalpolitischen Forum Sachsen e. V. (KFS) herausgegeben wird und im März 2020 erstmals erscheint.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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