Bei den fast vergessenen Jesiden

Brandenburger Politiker besuchten Flüchtlingslager der vom IS verfolgten Volksgruppe

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt dieser Tage nur wenige Erfolgsmeldungen aus diesem Teil der Welt. Doch für eine sorgte der Verein »Menschenrechtszentrum Cottbus«. Mit 622.000 Euro aus zweckgebundenen Spenden finanzierte er den Wiederaufbau der 800 Jahre alten Sankt-Jakob-Kirche in Telskof, einem Ort im irakischen Teil von Kurdistan. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) war zweimal dorthin vorgestoßen und hatte das Gotteshaus der christlichen Minderheit zerstört. Ein Jahr und fünf Monate dauerte der Wiederaufbau. »400 Menschen fanden dabei Arbeit«, betont der Vereinsvorsitzende und einstige Landtagsvizepräsident Dieter Dombrowski (CDU). Die neue Kirche sei nun moderner als die alte, fügt er hinzu. Es gebe jetzt eine Klimaanlage und eine Heizung.

Hauptanliegen des Menschenrechtszentrums ist die Pflege der Gedenkstätte im alten Cottbuser Gefängnis, in dem zu DDR-Zeiten etliche politische Häftlinge saßen, darunter auch Dombrowski selbst nach einer gescheiterten Republikflucht. Laut Satzung helfe der Verein jedoch auch religiös, rassisch und politisch Verfolgten, so wie in Telskof, erklärt Dombrowski. Er reiste zur Einweihung der Kirche am 22. Dezember.

Bei der Zeremonie traf er die Brandenburger Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE), die voll des Lobes ist über das gelungene Bauprojekt. Die Politikerin war bereits vor zweieinhalb Jahren in der Gegend und hatte seinerzeit die zerstörte Kirche gesehen. Damals schon besuchte Johlige auch Flüchtlingslager der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden. Kämpfer des Islamischen Staats (IS) hatten die Männer ermordet, wo sie ihrer habhaft werden konnten, und die Frauen versklavt und brutal vergewaltigt.

Zehntausende Jesiden, die vor dem Völkermord aus dem nordirakischen Shingal geflohen sind, harren heute in Zeltlagern bei Dohuk im autonomen Gebiet Kurdistan aus. »Die Menschen leben seit fünf Jahren in den Camps und können nicht zurück«, bedauert die Abgeordnete Johlige. Die Stimmung sei deshalb noch hoffnungsloser als bei ihrem ersten Besuch vor zweieinhalb Jahren. Fünf Dollar pro Person gebe es, und ab und zu eine Kiste mit Lebensmitteln. Dazu müsse man wissen, dass zum Jahresende internationale Hilfsprojekte auslaufen und vor Ort niemand wisse, wie es weitergehen solle.

»Es scheint so, als habe die Welt das Leid der Jesiden vergessen«, beklagt Anja Mayer. Die Landesvorsitzende der brandenburgischen Linkspartei war vom 17. bis zum 24. Dezember mit Andrea Johlige in Irak - zusammen mit dem niedersächsischen Sozialdemokraten Holger Geisler und mit dem Autor Matthias Hoffmann, der das 2019 veröffentlichte Buch »Kurdistan von Anfang an« geschrieben hat. Zur Reisegruppe gehörten außerdem Vertreter von Vereinen der Jesiden aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die für eine Hilfslieferung mit warmer Winterkleidung sorgten. Das ist auch bitter nötig. Denn nachts sinken die Temperaturen jetzt unter den Gefrierpunkt, tagsüber herrschen nur vier Grad Celsius, sagt Mayer, die bei dieser Witterung ein Heiligtum der Jesiden wie vorgeschrieben auf Strümpfen besichtigte. Sie kann sich vorstellen, wie es ist, unter diesen Bedingungen in einem Zelt zu schlafen.

In einem Flüchtlingslager trafen Mayer und Johlige zwei zeitweilig vom IS entführte Frauen. Für Mayer war es der bewegendste Moment dieser Reise. Entführte Frauen hatten für eine Art Maltherapie Papier und Stifte erhalten, um ihre schrecklichen Erlebnisse in Bildern zu verarbeiten. Die zwei Frauen zeigten dabei künstlerisches Talent und finanzieren inzwischen mit dem Verkauf ihrer Bilder das Leben ihrer Familien. Anja Mayer hat zwei Bilder erworben - ein Motiv zeigt eine Frau mit Nägeln im Rücken, das andere Motiv eine Frau, die sich als Vogel zum Himmel emporschwingt, was die Befreiung aus den Fängen des IS symbolisiert.

Der Landtag hatte 2016 ein Aufnahmeprogramm für schwer traumatisierte Jesidinnen und ihre Kinder beschlossen: einstimmig, denn die Abgeordneten der AfD hatten den Plenarsaal verlassen. Es dauerte Jahre, bis die ersten 70 Jesiden im Bundesland eintrafen. »Das Landesaufnahmeprogramm müsste fortgesetzt werden und andere Bundesländer müssten sich beteiligen«, sagt Anja Mayer. Eine Vorstellung von dem Elend bekam die gelernte Arzthelferin, als Flüchtlinge bemerkten, dass die 40-Jährige über medizinische Grundkenntnisse verfügt. Sie zeigten ihr Röntgenaufnahmen und erklärten flehend: »Ich muss in Deutschland operiert werden.« Mayer meint dazu: »In Einzelfällen lässt sich das sicherlich organisieren, aber insgesamt ist es keine Lösung.«

Als Oppositionspartei kann die LINKE nur schwer etwas durchsetzen. Über die Situation informieren, das geht. Das könnte helfen. Darum berichtet Mayer über ihre Reiseeindrücke. Sie erinnert, was die internationale Aufmerksamkeit bislang bewirkte: »Vor 2014 wusste kein Mensch, wer die Jesiden sind, dass es Jesiden überhaupt gibt.«

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