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Finanzbeziehungen in neuem Gewand
Der Aufbau Ost sollte vor allem aus dem Solidarpakt bezahlt werden. Dieser ist nun Geschichte
Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ist die Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft immer noch um 20 Prozent geringer als die der westdeutschen. Zu diesem Schluss kommen Forscher des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH). Im kommenden Jahrzehnt wird Deutschlands Wirtschaft insgesamt deutlich langsamer wachsen als in der Vergangenheit, prognostizieren die Münchner Kollegen vom Ifo-Institut. Grund hierfür sei der sich verschärfende Mangel an Arbeitskräften aufgrund des demografischen Wandels. »Besonders schlecht abschneiden dürften strukturschwache Bundesländer wie das Saarland, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern«, warnt Joachim Ragnitz von der Ifo-Niederlassung in Dresden. »Die Schere zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland wird sich deswegen nicht weiter schließen.« Die regionalen Unterschiede bei der Wirtschaftskraft sowie beim Lebensstandard werden dann sogar wieder deutlich zunehmen, prognostiziert Ragnitz.
Das zum Jahreswechsel vollzogene endgültige Aus für den Solidarpakt könnte vor diesem Hintergrund überraschen. Im Solidarpakt I von 1995 bis 2004 hatten sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten darauf verständigt, dass 160 Milliarden DM (rund 80 Milliarden Euro) zusätzlich gen Osten fließen, um die Lebensverhältnisse Richtung Westniveau anzuheben. Der Bund übernahm zudem die Schulden der Treuhandanstalt. Im Solidarpakt II von 2005 bis 2019 stellte der Bund den ostdeutschen Ländern weitere 160 Milliarden Euro zur Verfügung, zusätzlich zum normalen Länderfinanzausgleich zwischen reicheren und ärmeren Bundesländern.
Diese Ost-Subventionen waren degressiv ausgestaltet - sie verringerten sich Jahr für Jahr von über zehn Milliarden auf rund zwei Milliarden Euro im Jahr 2019. Mit einem Teil der Gelder wurden Straßen gebaut, Bahnhöfe modernisiert und Schulen ans Internet angeschlossen. Zwei Drittel der Gesamtsumme dienten allerdings dem Ausgleich der schlechten Finanzkraft ostdeutscher Gemeinden und teilweise der Finanzierung von Sozialleistungen. Damit wurden zugleich die Kassen der neuen Bundesländer entlastet.
Trotz anderslautender Versprechungen im Bundestagswahlkampf waren die Bürger zur Finanzierung zur Kasse gebeten worden. Ab Sommer 1991 wurde zeitweilig ein Zuschlag von 7,5 Prozent auf die monatliche Einkommensteuer erhoben und die Mineralölsteuer erhöht. Mit dem Solidarpakt I wurde dann 1995 aus dem Solidaritätszuschlag ein Solidaritätsbeitrag, der entgegen einem Vorurteil auch im Osten gezahlt wird. Allerdings waren die Steuereinnahmen aus dem Soli nicht zweckgebunden, sondern flossen in den allgemeinen Bundeshaushalt ein. Das Geld wurde also nicht eins zu eins für den Aufbau Ost verwendet.
Dennoch flossen insgesamt mehr als 250 Milliarden Euro nach Ostdeutschland, der Großteil davon im Rahmen des Solidarpaktes. Marcus Böick, Historiker an der Ruhr-Universität Bochum, sieht in diesem »eine Art Notfallreaktion«, als die von CDU-Kanzler Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften ausblieben und die Deindustrialisierung im Zuge der Treuhand-Privatisierungen Abertausende Arbeitsplätze vernichtete.
Einige Ökonomen sprechen dennoch von einem Erfolg. So zum Beispiel Oliver Holtemöller, Volkswirt und stellvertretender Präsident des IWH: »Nirgendwo auf der Welt haben ökonomische Anpassungs- und Aufholprozesse so schnell stattgefunden wie in Ostdeutschland«, meint er. Das hänge eben auch mit der Förderung durch Solidarpakt und Soli zusammen. Bei der Infrastruktur gebe es kaum noch Unterschiede - ein Hauptziel, das mit dem Solidarpakt II verfolgt wurde. Und auch im Osten gibt es inzwischen florierende Regionen. Umgekehrt kennt der Westen ebenfalls wirtschaftlich abgehängte Kreise etwa im Saarland oder Nordrhein-Westfalen. Dazu kommt das bundesweit ungelöste Problem des Stadt-Land-Gefälles. All dies waren die Hauptargumente, die in der Debatte um die Abschaffung angeführt wurden.
Während der Solidarpakt zu Silvester endete, wird der Soli noch bis 2021 erhoben werden. Erst danach wird er für 90 Prozent der heutigen Zahler vollständig wegfallen, für weitere 6,5 Prozent zumindest teilweise. Dies ist bereits beschlossen.
Auch der bisherige Länderfinanzausgleich endete zum Jahreswechsel. Der Bundestag hatte bereits 2017 die gesetzlichen Grundlagen für eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beschlossen. Das bisherige vierstufige Ausgleichssystem wird nun vereinfacht, bleibt aber kompliziert. Im Trend zahlt der Bund jetzt mehr, erhält im Gegenzug aber auch größere Kompetenzen etwa bei den Fernstraßen und Investitionen »in gesamtstaatlich bedeutenden Bereichen«. Wie die Förderung strukturschwacher Regionen künftig aussehen wird, muss sich erst noch zeigen. Auch wie es ohne Solidarpakt im Osten genau weitergeht, bleibt noch offen, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.
Sicher ist nur: Zukünftig werden nicht mehr pauschal Gelder von West nach Ost fließen, sondern nur nach regionalem Bedarf. Dabei wird der Bund die Länder im Umfang von rund zehn Milliarden Euro finanziell entlasten. Finanzschwachen Kommunen stellt der Bund weitere 3,5 Milliarden zur Verfügung, vor allem für das Bildungswesen. Das dürfte in etwa den Wegfall der Überweisungen aus dem Solidarpakt ausgleichen. Und so hofft man im Osten, dass mit dem neuen Finanzausgleichssystem unterm Strich keine Kommune und kein Bundesland schlechter gestellt sein werden als zuvor.
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