Kurz lässt Grüne schlucken

Die Österreichische Volkspartei dominiert Regierungseinigung, bei vielen Grünen herrscht Unmut

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist die Zeit der Premieren in Österreich: Eine Beamtenregierung im Amt (noch) und eine Koalition zwischen Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Grünen in den Startlöchern. Ende September war gewählt worden, lange war sondiert worden. Einige Zeit hatte man sich seitens der Grünen und der ÖVP geziert, von »Verhandlungen« zu sprechen. Und mitten in den Weihnachtsfeiertagen war es dann soweit: Betont freundschaftlicher Tonfall zwischen Türkis und Grün, das eine oder andere Kompliment an den jeweils anderen, zunehmend staatstragendes Gebaren vor und hinter barocken Flügeltüren, eine Einigung zeichnete sich ab. Eine allerdings, der der Bundeskongress der Grünen am Samstag noch zustimmen muss. Dass die Delegierten das vereinbarte Koalitionspapier mit einem fulminanten Ergebnis absegnen werden, ist keineswegs sicher.

Selbst noch als Grünen-Chef Werner Kogler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Mittwochabend in Wien vor die Presse traten, um die Einigung offiziell zu präsentieren, hielten sie sich zurück, was Inhalte anging. Nur Schlagworte ließen sie fallen: Von Grenzsicherung, Steuersenkungen und dem Kampf gegen den politischen Islam, die man sich vornehme, sprach Kurz; Von Klimaschutz, Transparenz und einem sozialen Ausgleich sprach Kogler. Details? Fehlanzeige. Das rund 300 Seiten umfassende Koalitionspapier sollte am Donnerstagabend der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Man durfte gespannt sein: Denn beide Parteichefs ließen am Mittwoch keine Zweifel daran, dass es sich hier nicht um eine Liebesehe handelt – bei allem demonstrativ zur Schau getragenen und immer wieder betonten gegenseitigen Respekt. Kurz drückte es so aus: Inhaltlich sei man doch sehr weit auseinander. Es sei aber gelungen, das »Beste aus beiden Welten zu vereinen«. Und Kogler: »Aus Respekt vor der Demokratie haben wir das Gespräch gesucht.« Gewählt worden seien Grüne und ÖVP aber für grundlegend unterschiedliche Dinge.

Tatsächlich: Knapp vor der Wahl hatte sich nur ein Fünftel der ÖVP-Wähler eine Koalition mit den Grünen gewünscht. Bei den Grünen verhielt es sich ähnlich, was eine Zusammenarbeit mit der ÖVP angeht. Bei der Wahl im September hatte die ÖVP dann vor allem von der FPÖ Stimmen gewonnen, die Grünen wiederum vor allem von der SPÖ. Die Wahlprogramme der Parteien liegen Welten auseinander.

Der weitere Verlauf sieht jetzt derart aus: Am Freitag werden die Verhandlungsteams der beiden Parteien die Parteigremien über den Verlauf der Gespräche informieren. Lackmustest ist dann der Bundeskongress der Grünen am Samstag. Kogler braucht dort eine Zustimmung von 50 Prozent plus einer Stimme für den Vertrag. Eine Ablehnung des Koalitionspapiers ist zwar unwahrscheinlich, die Abstimmung ist aber ein wichtiger Stimmungstest für die Parteiführung.

Vor allem beim Thema Migration dürften für die Grünen viele schwer zu verdauende Maßnahmen vereinbart worden sein. Ein zusätzliches Thema: Die von der ÖVP gewünschte Sicherungshaft – ein FPÖ-Projekt, das von der ÖVP übernommen wurde. Es geht um die Inhaftierung Verdächtiger noch bevor eine Straftat begangen wurde. Die Grünen waren seit jeher kategorisch dagegen.

Was Sicherheitsthemen angeht, so dürfte es einen Abtausch mit dem Klimathema gegeben haben. In welcher Form – CO2-Besteuerung, Umweltsteuern, Abgaben oder Förderungen – ist noch nicht bekannt. Zusätzlich hat man sich anscheinend auf ein Paket zur Armutsbekämpfung und ein Transparenzpaket geeinigt. Kogler sprach vom gläsernen Staat, den man schaffen wolle, und keinem gläsernen Bürger. Letzteres war aber schon von vielen Regierungen versprochen worden. Auch eine ökosoziale Steuerreform wurde versprochen.

Bei der Ressortaufteilung aber haben die Grünen nur einen großen Brocken an Land gezogen: Den Vizekanzler sowie vier Minister plus einen Staatssekretär oder eine Staatssekretärin stellen die Grünen: Das Riesenministerium für Infrastruktur sowie Justiz, Soziales und Kultur. Wobei das Sozialministerium beschnitten wurde: Die Agenden »Arbeit« wandern in das ÖVP-geführte Wirtschaftsministerium – und damit die Budgetposten für das wichtige Dienstleistungsunternehmen Arbeitsmarktservice (AMS), das unter anderem Arbeitskräfte vermittelt. Und mit dem Ressort für Infrastruktur haben sich die Grünen ein Ministerium verpasst, in dessen Verantwortung vor allem auch mühsame Langzeitprojekte fallen, die es mit überwiegend ÖVP-Landeshauptleuten auszuhandeln gilt und wo rasche Erfolge nicht zu erwarten sind.

Und noch ein paar Punkte wurmen die grüne Basis: Es wird kein Frauenministerium geben, alle staats- und sicherheitsrelevanten Ministerien (Innen und Verteidigung) sind in der Hand der ÖVP, ebenso das neu geschaffene Integrationsministerium und in der Ministerliste der Türkisen finden sich eine ganze Reihe altbekannter Gesichter aus der Zeit der Koalition mit der FPÖ. Elf Ministerien hat die ÖVP künftig inne. Eines dürfte also klar sein: Eine schwarze Dominanz in der Themensetzung. Und was sich auch abzeichnet: Die ÖVP dürfte auf eine harte Linie bei Kernthemen wie Integration, Migration und Islam bestehen.

Aber auch die ÖVP hat großes Interesse an einem Funktionieren der Regierung. Schlicht aus einem Grund: Vergrault die ÖVP die Grünen, hätte sie es sich mit allen möglichen Koalitionspartnern im Nationalrat vertan: Der SPÖ hat Kurz wiederholt klare Absagen erteilt, die FPÖ leckt derzeit ihre Wunden und ist beleidigt, was Kurz angeht. Bleiben die Grünen.

Stimmen die Grünen am Samstag dem Pakt mit der ÖVP zu, so wird Österreich am Dienstag wieder eine gewählte Regierung haben. Derzeit regiert ja eine Beamtenregierung.

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