Werbung

Deutschland weint

Netzwoche: Wie sich Social-Media-Deutschland mehr über tote Affen empört, als über tote Menschen im Mittelmeer

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Affen-Fotos in Schwarz-Weiß, ein Meer von bunten Blumen, Grabkerzen und Plakate. »Warum?« ist darauf zu lesen und »Ermordet von korrupten Politikern«. Das Jahr hätte »nicht schlimmer beginnen können«. Darüber jedenfalls ist sich Social-Media-Deutschland für ein paar wenige Stunden einig – erstaunlich weit über politische Grenzen hinweg.

Eine Welle aus Empörung und Mitgefühl schwappte über die Republik, nachdem in der Silvesternacht bei einem Feuer im Krefelder Zoo mehr als 30 Tiere gestorben waren. Noch während die Feuerwehr mit den Löscharbeiten beschäftigt war, gab der Zoo den Brand auf seiner Facebook-Seite bekannt. Mitleidsbekundungen und Hilfsangebote folgten. Wenig später auch erste Spekulationen.

Am frühen Mittwochmorgen schrieb der Zoo dann: »Unsere schlimmsten Befürchtungen sind Realität geworden. Es gibt keine überlebenden Tiere im Affenhaus.« Da haben sich die beiden Hashtags #KrefelderZoo und #Böllerverbot bereits durchgesetzt. Noch bevor sich die Kriminalpolizei zur Brandursache äußern konnte, war sich die Twitter-Gemeinde sicher: Feuerwerkskörper haben den Brand verursacht. Unzählige Tweets forderten ein »sofortiges Böllerverbot«.

Das wiederum rief Wutbürgertum und Verschwörungstheoretiker auf den Plan. Fast 1000 Likes bekam der Tweet von @Markus_Krall: »Die Linksgrünen treten eine Verbotsdebatte für Böller los und prompt brennt in der Silvesternacht das Affenhaus des Zoos in Krefeld ab. Fällt das nur mir auf, dass das wie bestellt aussieht?«

Am Mittag gab die Polizei eine Pressekonferenz, die live im Fernsehen übertragen wurde: Eine Himmelslaterne soll das Feuer ausgelöst haben. Seit 2009 sind diese in Deutschland verboten. Der entfachten Debatte in den sozialen Medien über Böllerverbote konnte die Information zu diesem Zeitpunkt allerdings keinen Abbruch mehr tun. Hasskommentare wurden lauter, der Zoodirektor wurde zum Rücktritt aufgefordert. Und Deutschland weinte.

Während die einen tote Affen für ihre eigene Agenda instrumentalisieren, spenden die anderen, was das Zeug hält. Um das Mitgefühl ist es in Deutschland nicht allzu schlecht bestellt, könnte man da meinen. Dass dieses aber für Millionen von Tieren in Schlachthäusern oder sogar Zehntausende von ertrinkenden Menschen im Mittelmeer fehlt, lässt die Empörung seltsam und unverhältnismäßig wirken.

Auf Twitter machte der Hashtag #jesuisaffe die Seltsamkeit der Empörung deutlich. Er wurde neu geschaffen: in Anlehnung an den 2015 unmittelbar nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« verbreiteten Hashtag #jesuischarlie.

Und Breaking News: Nicht nur das Affenhaus in #Krefeld hat gebrannt, sondern auch #Australien. 500 Millionen Tiere sind dort gerade ums Leben gekommen. Krefeld ist vor allem eine bequeme »Katastrophe«, die sich einfach lösen lässt. In aller Deutlichkeit: Die Erde brennt, nicht nur ein Zoo.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.