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Verwunderung an der Basis
Österreich: Der Koalitionspakt von ÖVP und Grünen ist fertig.
In Österreich wird es wohl demnächst eine Regierung geben, wie es sie in der Alpenrepublik noch nie gegeben hat: eine Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen. In den vergangenen Jahren hatte die ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz mit der rechten FPÖ koaliert - und sich dieser in Inhalt und Sprache sehr weit angenähert. Die schärfsten Kritiker dieser Regierung - wenn auch damals nicht im Parlament vertreten: die Grünen. Jetzt werden diese beiden Parteien miteinander wohl eine Koalition bilden. Am Samstag wird der Bundeskongress der Grünen über die Koalitionsvereinbarung abstimmen. Sollte dieser zustimmen, so wird in Österreich vermutlich am kommenden Dienstag eine Regierung vereidigt.
Ob sich hier tatsächlich neues anbahnt oder nicht mehr als ein türkises Packerl mit grüner Schleife? Alle sicherheitsrelevanten und staatstragenden Ressorts werden in der Hand der ÖVP sein: Finanzministerium, Innenministerium, Verteidigungsministerium, Außenministerium, das neu geschaffene Integrationsministerium und auch das in Österreich genüsslich für parteipolitische Grabenkämpfe benutzte Ressort Bildung. Die Grünen dürfen sich indes in ihrer Kernkompetenz austoben: Umwelt, Infrastruktur und Verkehr werden in einem Ministerium zusammengefasst.
Leiten wird es Leonore Gewessler. Sie ist ein profilierter Kopf für den Posten. Als Geschäftsführerin hatte sie ab 2014 die Umweltschutzorganisation Global2000 geleitet - und in dieser Position vor allem eines getan: die Klimapolitik der ÖVP/FPÖ-Koalition unter Kanzler Kurz kritisiert. Auch die Ressorts Justiz, Kunst und Kultur sowie Soziales gehen an die Grünen.
Ein Kernthema der Grünen war ein Transparenz-Paket. So sollen Staatsfinanzen und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nachvollziehbar und einsehbar werden. Das Amtsgeheimnis soll abgeschafft, Informationsfreiheit ein einklagbares Recht werden. Das wäre ein großer Wurf für die Grünen - zur Umsetzung braucht es aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die ÖVP und Grüne nicht haben.
Und dann ist da das Thema Klimaschutz - der wohl zäheste Brocken in den Gesprächen. Hier bleiben auch nach Abschluss des Koalitionspaktes viele Fragen offen. Ziel ist es, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Wie? Klimaschädliche Subventionen sollen abgeschafft, der öffentliche Verkehr ausgebaut und erneuerbare Energieformen gefördert werden. Die Angaben zur Finanzierung sind allerdings vage. Eine ökosoziale Steuerreform soll es erst 2022 geben. Dazu wird eine Taskforce im Umwelt-, Verkehrs- und Finanzministerium eingerichtet, die eine CO2-Bepreisung errechnen soll. Klingt nach einem »Runden Tisch«, an dem viel geredet aber kaum jemals etwas beschlossen wird.
Die ÖVP unter Kurz hatte im Wahlkampf einer Ökosteuer eine grundsätzliche Absage erteilt. Österreichs Klimapolitik ist bislang auch von der EU-Kommission, NGOs und Klimaschutz-Organisationen kritisiert worden. Nun ist von NGO-Seite zu hören, dass die Pläne zumindest ambitioniert seien. Mit Gewessler sitzen die Grünen auch im zentralen Ressort.
Infrastrukturmaßnahmen haben in Österreich allerdings ihre Tücken. Es gilt bei Großprojekten immer, einen Ausgleich zwischen Interessen des Bundes, Befindlichkeiten von Landeshauptleuten und Gemütslagen von Gemeinden zu bewerkstelligen. Und: Sechs der neun Landeshauptleute in Österreich stellt die ÖVP.
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Dabei haben sich die Grünen ÖVP-Zugeständnisse in diesem Bereich äußerst teuer und schmerzhaft abkaufen lassen: Vereinbart wurde etwa die Einführung eines »Freiheitsentzuges zum Schutz der Allgemeinheit« - also die Präventivhaft für Personen, die als Gefährder eingestuft werden. Der Plan stammt ursprünglich von der FPÖ. Die Grünen waren strikt dagegen - jetzt haben sie sich zur Umsetzung verpflichtet. Auch beim Thema Bildung vermisst man grüne Positionen: So soll es etwa Deutschförderklassen, also Unterricht für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen in separaten Klassen, weiter geben.
Die Zustimmung der Grünen zu vielen ÖVP-FPÖ-Positionen löste an der grünen Basis Verwunderung aus. Entsprechend spannend wird die Abstimmung über das Programm im Bundeskongress.
Ewa Dziedzic, Mitglied des Grünen Parteivorstandes und Koalitionsverhandlerin, möchte den Eindruck einer Obrigkeitsentscheidung durch den Parteivorstand vermeiden. Was der Bundesvorstand mache, sei nicht mehr, als dem Bundeskongress eine Empfehlung zu geben - und nur dieser entscheide letztlich. Ein Scheitern gilt als unwahrscheinlich. Wie viele dem Vorschlag zustimmen, gilt aber als wichtiger innerparteilicher Stimmungstest.
Es sind aber nicht nur Inhalte und Kompromisse, die Vorbehalte erregen. Es ist auch die Aufteilung der Ministerien. Den Grünen bleibt denkbar wenig Raum, sich auch in anderen Politikfeldern als ihrem ursprünglichsten Kernbereich zu profilieren.
Zum Risiko einer Zusammenarbeit mit den Türkisen sagt Ewa Dziedzic: »Die Hoheit liegt in den einzelnen Ministerien. Es ist aber eine Koalition und eben nicht so, dass jeder alleine und ausschließlich für den eigenen Garten zuständig ist.« Für die Grünen ist eine Koalition mit der ÖVP jedenfalls ein riskantes Experiment, das innerparteiliche Gräben zwischen Linken und Bürgerlichen aufzureißen droht.
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