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Mehr Jobs, weniger Armut?
sieben tage, sieben nächte
Das Wirtschaftswachstum lässt nach, und nun ist auch die Arbeitslosigkeit leicht gestiegen. Im vorigen Dezember waren 18 000 Menschen mehr erwerbslos als ein Jahr zuvor. Die Zeiten der ständig sinkenden Arbeitslosigkeit könnten bald vorbei sein. Aber hier soll nicht in die Zukunft geblickt, sondern die reale, auf den ersten Blick seltsame Entwicklung in den vergangenen Jahren betrachtet werden.
Die Arbeitslosenquote ist über lange Zeit beständig gesunken. Im Jahresdurchschnitt 2019 betrug sie fünf Prozent, meldete die Bundesagentur für Arbeit am Freitag. Das ist ein enormer Rückgang im Vergleich zu 2005, wo sie bei 11,7 Prozent lag. Eigentlich sollte man meinen, dass darum auch die Armutsquote sichtbar schrumpft. Tatsächlich ist sie jedoch seit 2005 gestiegen! Seit 2013 verharrt sie nunmehr mit rund 15,5 Prozent auf hohem Niveau. Und das, obwohl in jüngster Zeit die Reallöhne stärker als früher gestiegen sind - dank des Mindestlohns auch und gerade die von Geringverdienern.
Wieso geht die Armut trotzdem nicht zurück? Das hat viel mit alten politischen Entscheidungen zu tun, die brandaktuell sind, weil sie bis heute wirken. So ist die Zahl der armen Rentner deutlich gestiegen, eine Folge der Rentenreformen um die Jahrtausendwende. Dann gibt es heute zwar viel weniger arbeitslose Menschen, sie sind aber viel schlechter abgesichert als vor den Arbeitsmarktreformen. Sie erhalten kürzer Arbeitslosengeld, und Geringverdiener landen oft gleich in Hartz IV. Die Folge: Mittlerweile sind fast 60 Prozent der Erwerbslosen armutsgefährdet.
Erwerbstätige stehen im Vergleich dazu finanziell meist besser da, doch auch in dieser Gruppe sind um die acht Prozent armutsgefährdet. Das heißt, ein Single muss mit weniger als 1035 Euro im Monat auskommen. Die Armutsquote unter Beschäftigten ist seit Jahren relativ unverändert, was nach Stabilität klingt. Weil jedoch die Zahl der Berufstätigen insgesamt gestiegen ist, ist auch die absolute Zahl der armen Erwerbstätigen gestiegen.
Das hat etwas mit dem großen Niedriglohnsektor zu tun, den die rot-grüne Regierung um die Jahrtausendwende mit Erfolg gefördert hat. Auch der Niedriglohnsektor sieht stabil aus, wenn man sich den Anteil der Geringverdiener an allen Beschäftigten anschaut. Doch auch hier gilt: Weil die Erwerbstätigkeit insgesamt gestiegen ist, ist auch die Zahl der Geringverdiener gestiegen.
Viele Menschen haben in jüngster Zeit zwar einen Job, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Sell von der Hochschule Koblenz. allerdings landen viele eben im Niedriglohnsektor. Und wenn Geringverdiener etwas mehr Geld bekommen, heißt das noch nicht, dass sie damit gut über die Runden kommen. Überdies sind viele der neuen Jobs lediglich Teilzeitstellen.
Der Verteilungsforscher Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung verweist zudem darauf, dass in den vergangenen Jahren vier Millionen Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen oder geflüchtet sind. In jüngster Zeit kamen vor allem Arbeitsmigranten in die Bundesrepublik, aus EU-Ländern wie Rumänien und Polen. Sie arbeiten besonders häufig für wenig Geld - in Gaststätten oder Hotels, als Paketboten oder Reinigungskräfte.
So wie Rot-Grün die Ungleichheit gefördert hat und die nachfolgenden Regierungen vieles beim Alten belassen haben, könnte die Politik auch dazu beitragen, dass Menschen hierzulande wieder ein anständiges Einkommen haben. Gute Vorschläge dazu gibt es. Eva Roth
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