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  • Preiserhöhungen in Brasilien

Der Traum von chilenischen Verhältnissen

In Brasilien hoffen Linke, dass die Preiserhöhungen im Nahverkehr eine breite Protestbewegung auslösen

  • Niklas Franzen, São Paulo
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch heute, sagt Bruno Ferrari, habe er mal wieder mehr als drei Stunden im Bus gesessen. Ferrari - 22, Afro, Schnurrbart - lebt im armen Randgebiet von São Paulo und arbeitet im Zentrum. »Die Busse sind immer überfüllt, man wartet lange - und nun sollen wir auch noch mehr bezahlen? Das ist doch absurd.« Der junge Mann steht an diesem tropisch-heißen Dienstagabend am Rand einer Demonstration, zu der die Freie-Fahrt-Bewegung (MPL) aufgerufen hatte.

Rund 500 Menschen haben sich vor dem Gebäude der Stadtverwaltung in der wuseligen Innenstadt der Megametropole versammelt. Anlass der Demonstration ist die Erhöhung der Fahrpreise des Nahverkehrs. Mit dem Beginn des neuen Jahres wurden die Tarife von 4,30 auf 4,40 Reais (0,95 auf 0,97 Cent) angehoben. Das mag erst einmal nicht viel klingen. »Aber jeder Cent mehr bedeutet eine weitere Exklusion der armen Bevölkerung«, sagt Gabriela Dantas von der MPL dem »nd«.

In der 20-Millionenmetropole ist der Nahverkehr ein Reizthema. Vor allem ärmere Menschen sind auf ihn angewiesen - und die Erhöhungen treffen sie mit voller Härte. In einer Stellungnahme verteidigt sich das Sekretariat für Transport der Stadtverwaltung und erklärt, dass der Anstieg um 2,33 Prozent unterhalb der Inflation liege. Für »vorgeschoben« hält die Aktivistin Dantas das. Außerdem gehe es nicht nur um Fahrpreiserhöhungen. Die Stadtverwaltung hat im vergangenen Jahr 242 Buslinien gestrichen, fährt einen Sparkurs. Die MPL fordert einen kostenfreien Nahverkehr für alle. Wie das zu finanzieren sei? »Wir könnten zum Beispiel anfangen, große Vermögen zu besteuern«, sagt Dantas.

Auch in den vergangenen Jahren war es regelmäßig zu Erhöhungen gekommen - und stets kam es zu Protesten Angeführt wurden sie von der MPL. Die autonome, linksradikale Gruppe wurde 2005 in São Paulo gegründet. Bekanntheit erlangte sie 2013. In diesem Jahr organisierte sie Demonstrationen gegen die Erhöhung der Fahrpreise. Nach Prügelorgien der Polizei und einer kritischen Berichterstattung der großen Medienhäuser kam es zu wochenlangen, landesweiten Massenprotesten mit Millionen Teilnehmer*innen. Es waren die größten Demonstrationen seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985.

Ist ein Revival von 2013 in Sicht? Dantas lacht kurz auf und meint: »Das fragen mich alle. Aber ehrlich gesagt, weiß ich das nicht.« Viele Brasilianer*innen seien wütend, aber die Repression habe zugenommen und viele Bürger*innen hätten Angst, zu demonstrieren. An diesem Dienstag wächst der Protestzug im Laufe des Abends auf rund 1000 Teilnehmende - doch das sind weniger als erwartet.

In Brasilien träumen viele Linke von chilenischen Zuständen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es bald zu ähnlichen Massenprotesten wie im Nachbarland kommen wird. Die Opposition gegen die rechtsradikale Bolsonaro-Regierung ist schwach und orientierungslos. Auch die Freilassung des Ex-Präsidenten Luiz Inácio »Lula« da Silva hat ihr nicht den erwünschten Schwung gegeben. Viele Brasilianer*innen lassen sich von den konstanten Drohungen und dem autoritären Gebaren der Rechtsaußen-Regierung einschüchtern.

Mehrere Regierungsmitglieder flirteten in den vergangenen Wochen ganz offen mit antidemokratischen Notstandsgesetzen als Antwort auf mögliche soziale Aufstände. Präsident Jair Bolsonaro will eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen, die Sicherheitskräften Straffreiheit in Ausnahmesituationen zusichert. Auf einer Pressekonferenz gab der ehemalige Fallschirmjäger zu, dass er das Projekt auch im Hinblick auf mögliche Proteste einbringen will und versprach weitere Maßnahmen zur »Verteidigung der öffentlichen Ordnung.« Militante, linke Proteste bezeichnete er als »terroristische Akte«.

In den vergangenen Jahren gab es regelmäßig schwere Übergriffe der Polizei auf die Demonstrationen gegen die Fahrpreiserhöhungen. Auch an diesem Dienstag ist die Polizei nicht zimperlich. Am Startpunkt durchsuchen Beamte mehrere Teilnehmende ohne ersichtlichen Grund. »Das ist eine Routinekontrolle«, erklärt ein Polizeisprecher dem »nd«. »Wir müssen prüfen, ob sie Waffen bei sich tragen.« Zwei aggressiv wirkende Polizisten haben den Abzug auf ihren Gummigeschossgewehren und schupsen eine Demonstrantin weg.

Eine Aktivistin meint: »Die wollen uns einschüchtern. Aber so leicht geht das nicht.« Dennoch läuft die Demonstration los, zieht am Abend durch die Hochhausschluchten São Paulos und endet auf der Bankenmeile Avenida Paulista. Nach dem Ende des Protests kommt es zu kleineren Auseinandersetzungen in einer U-Bahn Station, 22 Demonstrant*innen werden festgenommen. Und wie geht es nun weiter? Die Aktivistin Dantas meint: »Das war erst der Anfang. In den nächsten Wochen kommen wir wieder.«

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