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Rauchfrei Rauchen
Ulrike Wagener erkundet ein berüchtigtes Werbeoxymoron
Limonade ohne Kalorien, Käse ohne Fett, Bier ohne Alkohol. Der Genuss ohne Reue ist einer der vielen Träume, die unzählige Werbeagenturen angetreten sind zu erfüllen. Ihr neuster Clou: Rauchen ohne Rauch.
Kaum eine Branche vermag es besser, wissentlich ein sehr schädliches und einigermaßen teures Produkt anzupreisen, als die Tabakindustrie: »Aufhören ohne aufzuhören«, lockt ihr neuestes Oxymoron auf den gauloiseblauen Plakaten von myblu, die derzeit überall sichtbar Raucher*innen zum »Umdenken« bewegen wollen. Damit ist natürlich kein Leben als Nichtraucher*in gemeint, denn wie heißt es so schön auf der Website des Unternehmens für E-Zigaretten, das - wie West, Gauloise, Johnny Player Special und Drum - zu den »Imperial Brands« gehört: »Unser Anspruch ist nicht, die Welt zu verändern, sondern das Rauchen neu zu definieren.«
Das Rauchen neu zu definieren gehört zu den Kernkompetenzen der Tabakindustrie respektive ihrer Werbeabteilungen. Deren vielleicht genialster Coup stammt von Edward Bernays, einem Neffen Sigmund Freuds. Der Begründer der modernen PR befreite sein Metier vom Ruch der Propaganda und stilisierte die Zigarette zum Accessoire der Frauenemanzipation: Verkleidet als Suffragetten zündeten sich 1929 einige von ihm beauftragte Frauen auf den New Yorker Ostermärschen medienwirksam eine Zigarette an - und labelten die Glimmstängel so zu »Torches of Freedom«, Fackeln der Freiheit.
Und auch als in den 60er Jahren die gesundheitsschädlichen Effekte des Rauchens bekannter wurden, waren es Ad Men - niemand weiß das so gut wie geneigte Mad-Man-Fans - die einen Weg suchten, Menschen davon zu überzeugen, das Rauchen trotzdem keinesfalls zu lassen. Die Zigarette wurde zum Symbol des jugendlichen Trotzes, Pardon seiner Rebellion.
Es ist wohl kein Zufall, dass die Branche angesichts stärkerer staatlicher Einschränkungen erneut den Zeitgeist aufgreift und das Rauchen quasi digital und rauchfrei überholen lässt. Bis Plakatwerbung auch für E-Zigaretten verboten wird, verbleiben noch vier Jahre, um den letzten Hoffnungsschimmer auf ein sauberes Raucherlebnis in die Herzen der Raucher*innen zu pflanzen, ein Raucherlebnis 2.0., das ein tatsächliches Aufgeben der Gewohnheit quasi überflüssig macht. So urteilt eine Nutzerin von myblu: »Das allerbeste für mich ist, dass man nichts riecht. Der eklige Zigarettengeruch in Haut, Haaren und Klamotten gehört der Vergangenheit an.« Rauchen heute ist nicht mehr emanzipatorisch oder rebellisch - es ist »smart« und »schick«. Und soll es wohl allen Raucher*innen leichter machen, diesem Slogan zuzustimmen: »Raucher sagen JA«.
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