- Wirtschaft und Umwelt
- Lohnuntergrenze
Mindestlohn wird wenig effektiv kontrolliert
Fünf Jahre Lohnuntergrenze: Untersuchung bilanziert Mängel bei der Durchsetzung
Sie gilt als eine der größten Arbeitsmarktreformen der Bundesrepublik der letzten Jahre: die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns am 1. Januar 2015. Auf 8,50 Euro legte damals die Bundesregierung den Mindestlohn fest - ein Satz, den der Deutsche Gewerkschaftsbund bereits 2006 gefordert hatte. Schrittweise ist er seitdem weiter angehoben worden, zuletzt zum 1. Januar 2020 auf 9,35 Euro. In diesem Jahr, nach fünf Jahren Lohnuntergrenze, will die Bundesregierung nun evaluieren, welche Auswirkungen die Reform auf den Schutz der Beschäftigten hatte.
Gerhard Bosch, Frederic Hüttenhoff und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen haben zu diesem Anlass die Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns untersucht. Mit Fokus auf die zuständige Behörde, den Zoll, gehen sie in ihrem Buch »Kontrolle von Mindestlöhnen« den Fragen nach, wie die Einhaltung der Lohnuntergrenze überprüft wird, Verstöße sanktioniert werden und geprellte Beschäftigte zu ihrem Recht kommen.
Dazu führten sie Interviews mit mehr als 100 Mitarbeitern des Zolls, der Sozialkasse Bau, Vertretern von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Betriebsräten und Firmen. Das Ergebnis: Unternehmen müssen »meist nicht mit ernsthaften Konsequenzen rechnen, wenn sie gegen Mindestlohnansprüche ihrer Beschäftigten verstoßen«.
Warum? Weil es zu wenige Kontrollen gibt, diese mangels Personal und Ausstattung nur unzureichend durchgeführt werden, und es genügend Schlupflöcher gibt, die Zahlung des Mindestlohns zu umgehen.
Bosch und seinen Mitautoren zufolge liegt das vor allem daran, dass jahrzehntelang nicht der Staat, sondern Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände (sogenannte Sozialpartner) für die Einhaltung der Lohnstandards verantwortlich waren. Die zunehmende Deregulierung des Arbeitsmarktes machte ein Eingreifen des Staates notwendig. Er verabschiedete ab 1996 eine Reihe von Gesetzen, die die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte verbessern (Arbeitnehmerentsendegesetz) sowie Lohn- und Sozialbetrug verhindern sollten (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz). Der Zoll wurde als Kontroll- und Strafermittlungsbehörde eingesetzt. Dafür sollte der Zoll mit dem Beschluss zum Mindestlohngesetz 2015 auch erheblich mehr Personal erhalten.
Nicht mehr als ein Anfang
Fünf Jahre Mindestlohn: Thorsten Schulten fordert die Anhebung der Lohnuntergrenze auf zwölf Euro pro Stunde
Im Jahr 2016 wurde die Behörde stark umstrukturiert. Dadurch, so die Autoren, entstand zum einen eine Doppelstruktur mit zwei Abteilungen, die sich gegenseitig Ressourcen entzogen, wodurch beide nur unzureichend ausgestattet waren. Mitarbeiter kritisierten gegenüber den Autoren nicht nur Personalmangel und unzureichende Ausbildung der Mitarbeiter, sondern auch eine schlechte Ausstattung mit Material, so zum Beispiel zu wenige Laptops, um Kontrollen vor Ort vernünftig durchführen zu können. Mit der Umstrukturierung wurden zudem nach dem Motto Qualität vor Quantität auch die anlasslosen Kontrollen weitgehend abgeschafft, dafür gibt es vier bis acht branchenbezogene Schwerpunktkontrollen pro Jahr. Die Baubranche war zuletzt 2015 dran.
Das war für Bosch und Kollegen ein großer Fehler: »Das Verhalten von Betrieben gegenüber ihren Belegschaften wird sich nur verändern, wenn die Unternehmen stets davon ausgehen müssen, dass Verstöße gegen Arbeitsbedingungen ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.« Dafür aber müssen sie ständig damit rechnen kontrolliert zu werden.
Bosch und Kollegen machen eine Reihe von Vorschlägen, um den Mindestlohn besser durchzusetzen. Dazu gehören eine flächendeckende Tarifbindung, ein Eindämmen der Subunternehmerketten, die Unternehmerhaftung für Verstöße nachgeordneter Firmen - wie zuletzt für die Paketbranche gesetzlich festgelegt -, sowie ein Verbandsklagerecht, damit Beschäftigte ihre Ansprüche nicht individuell einklagen müssen und die Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, weil die Autoren hier ein Wissensdefizit sehen.
Gerhard Bosch, Frederic Hüttenhoff, Claudia Weinkopf: Kontrolle von Mindestlöhnen, Springer 2019, 39,99 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.