Wehrhafte Medienschaffende gesucht

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird von Rechten bedroht. Nicht Jeder in den Sendeanstalten hält diesem Hass Stand.

  • Stephan Anpalagan
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wenn ich Du wäre, wäre ich lieber ich.« so heißt es in den Untiefen des Internets und aus verschiedenen Gründen musste ich in jüngster Vergangenheit dabei an Tom Buhrow denken.

Seit seiner verstolperten Reaktion auf das Satirevideo des WDR-Kinderchors steht Buhrow in der Kritik. Zu seinen Kritikern gehören der Deutsche Journalistenverband, die Gewerkschaft ver.di, die Redakteursvertretung des WDR und eine Gruppe freier Fernsehautoren, die allesamt Buhrows fehlende Courage und seine gefährlich zwiespältige Haltung in Hinsicht auf die Satire- und Pressefreiheit kritisieren. Ihr Hauptvorwurf: Buhrow habe leichtfertig dem Druck vonseiten rechter Meinungsmultiplikatoren nachgegeben und damit rechtsextremen Kräften Auftrieb verschafft, während er gleichzeitig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WDR, die von Neonazis bedroht und eingeschüchtert wurden, im Regen stehen ließ.

Wenige Tage nach dem Skandal musste auch Tom Buhrow mit ansehen, wie Neonazis das Wohnhaus eines WDR-Journalisten belagerten, wie über mehrere Tage hinweg Rechtsextreme vor den WDR Redaktionsbüros aufmarschierten und wie die rechtsextreme »Identitäre Bewegung« das WDR Funkhaus in Köln besetzte. Ausgerechnet der WDR selbst ließ in seiner »Aktuellen Stunde« die Datenjournalisten Christian Fuchs und Philip Kreißel zu Wort kommen, die am Beispiel des »Umweltsau-Oma«-Videos erklärten, wie rechte Netzwerke innerhalb weniger Minuten einen Shitstorm orchestrieren und so Politik- und Medienschaffende vor sich hertreiben. Tom Buhrow zum Beispiel.

Dabei ist weder der rechte Mediensturm als Reaktion auf das »Umweltsau«-Video, noch die Bedrohung der Journalistinnen und Journalisten durch Neonazis ein Einzelfall. Mitte November erst taten sich 450 JournalistInnen, 20 Verbände und 17 Redaktionen zusammen, um sich mit einem Journalisten des NDR zu solidarisieren, der von Neonazis bedroht wurde und vor dessen Wohnhaus die NPD eine Kundgebung organisiert hatte. Wenige Tage nach dem Eklat um das »Umweltsau«-Video schrieb der Journalist Richard Gutjahr einen offenen Brief an den Intendanten des Bayerischen Rundfunks, indem er sich darüber beschwert, dass der BR ihn und seine Familie mit der rechtsextremen Gefahr und dem Online-Hass allein gelassen habe.

Rechtsradikale Kräfte nutzen solche und ähnliche Gelegenheiten, um ihrem Hass auf eine unabhängige, freie Presse freien Lauf zu lassen. Und als hätte die AfD nur darauf gewartet zu beweisen, dass ihre Mitglieder das Auftreten der NSDAP genau studiert haben, marschierten die Abgeordneten Stefan Räpple und Dubravko Mandic vor dem Funkhaus des SWR auf und schrien »Wir werden sie aus ihren Redaktionsstuben vertreiben« und »Das ist erst der Anfang des Sturms«. »Wollt Ihr den totalen Medienkrieg?« hätte auch gepasst, aber darauf sind die Schlauköpfe von der AfD nicht gekommen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird bedroht. Die unabhängige, freie Presse wird bedroht. Journalistinnen und Journalisten werden bedroht. Durch rechtsradikale Netzwerke, rechtsextreme Parteien und Neonazis, die keinen Hehl daraus machen, wer der nächste Walter Lübcke sein wird. Währenddessen berichtet der MDR über »Silvester in und um Leipzig: Friede am Völki, Gewalt in Connewitz, Böllern in Borna« und verschweigt - versehentlich? - den rechten Aufmarsch am »Völki«, den die NPD zu Silvester besetzte und verkürzt das Geschehen in Connewitz einseitig auf »linke Gewalt«.

In dieser Gemengelage bräuchte es standhafte, wehrhafte und umsichtige Medienschaffende. Aber wenn ich mir zurzeit Tom Buhrow so ansehe, wäre ich lieber ich. Und ich fürchte Tom Buhrow auch.

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