- Kommentare
- Klarnamenpflicht
Strafverfolgung geht auch anders
Für Thilo Weichert ist die Forderung nach einer Klarnamenpflicht im Internet eine Bedrohung der Grundrechte
Die Diskussion über die Klarnamenpflicht bei der Internetnutzung wird geführt, seit es soziale Medien gibt. Prominentester und einer der entschiedensten Vertreter dieser Pflicht war und ist Facebook. Selbst Künstlern, die bei Facebook mit ihrem Pseudonym angemeldet waren, wurde, sobald das Unternehmen davon Kenntnis bekam, der Account gekündigt. Dem Internetkonzern ging es dabei jedoch nicht um die Verhinderung oder Ahndung von Hass-Posts oder die Bekämpfung von Internetkriminalität. Facebook wollte und will über die Klarnamen Profile zusammenführen und so Werbung adressieren und verkaufen.
Die Rechtslage steht diesen Vermarktungsambitionen eigentlich entgegen. Für Internetangebote gilt nach dem Telemediengesetz: »Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist.« Inzwischen gilt die Datenschutzgrundverordnung und mit ihr der Grundsatz der Datenminimierung und das »Privacy by Default«: Personenbezug, also Klarnamenpflicht, ist zu vermeiden, wo immer es geht.
Diese Position fand früh schon Unterstützung durch den Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH bekräftigte, dass es dem Schutz der Meinungsfreiheit im Internet dient, wenn Nutzende sich dort anonym äußern können. Diese Rechtsprechung gilt bis heute - etwa bei Beurteilungen auf Bewertungsportalen. So vor zehn Jahren in der »Spickmich«-Entscheidung oder jüngst in der »Yelp«-Entscheidung: ob Lehrer oder Fitnessstudios, alles was im Internet bewertet wird, muss solche subjektiven Werturteile erdulden.
Doch diese Rechtsprechung hat einen gewaltigen Schönheitsfehler: Das Gericht ist der Auffassung, die Internetdienste dürften die Art und Weise, wie ihre Bewertungen zustande kommen, geheim halten. Es handele sich nämlich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Damit legitimiert der BGH unter dem Schein der Objektivität falsche Werturteile. Er versteigt sich gar in die Behauptung, die im Netz veröffentlichten Ergebnisse von Algorithmenbewertungen genössen den Schutz der Meinungsfreiheit. Computern wird somit ein Grundrecht auf freie Meinung zugestanden. Dabei pfeifen es die Spatzen seit Jahren von den Dächern: Scheinbar objektive Algorithmen, mit oder ohne sogenannte Künstliche Intelligenz, können diskriminierend wirken.
Durch die Auffassung der Richter ist das Prinzip des Schutzes der Anonymität im Netz jedoch nicht in Frage gestellt. Es bedarf eines Ausgleichs zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und vor Kriminalität sowie der Meinungsfreiheit im Netz. Geschützt werden müssen dabei die Menschen, nicht die Internetunternehmen. Die Konzerne hatten bisher eine bessere Lobby als die Grundrechte.
Die Grundrechte werden mit der Forderung nach einem »digitalen Vermummungsverbot« aktuell wieder bedroht. Eine Klarnamenpflicht soll nicht dem Profitinteresse von Internetkonzernen dienen, sondern der staatlichen Strafverfolgung. Vielen Politikern ist dabei nicht klar, dass sie sich in gefährliche Nähe von Polizeistaaten wie China, Saudi-Arabien, Russland oder Iran begeben. Diese tun alles dafür, der Opposition in ihrem Land den technischen Schutz der Pseudoanonymität, der im Netz möglich ist, zu entreißen.
Zweifellos müssen in Deutschland und Europa Hass und Kriminalität im Netz verfolg- und verhinderbar sein. Dafür ist es aber nicht nötig, den Schutz der Anonymität bei der Wahrnehmung von Grundrechten aufzugeben. Bei Gefahren für Persönlichkeitsrechte und bei Straftaten muss und kann es Möglichkeiten geben, die Bösewichte zu identifizieren und zur Verantwortung zu ziehen - ohne Klarnamenpflicht.
Die Internetanbieter können im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zur Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden verpflichtet werden - durch transparente Algorithmen, Sperrung rechtswidriger Inhalte und Aufdeckung der im Netz genutzten Pseudonyme. Die Unternehmen machen im Netz ein Riesengeschäft. Dies verpflichtet sie, auch für die gesellschaftlichen Kosten aufzukommen, die nötig sind, um unsere Demokratie und unsere Grundrechte zu schützen. Sie müssen, soweit wie möglich, die Verantwortung für das übernehmen, was über ihre Kanäle an Dreck verbreitet wird. Da sie dies aber nicht freiwillig tun, ist hier die Politik gefordert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.