Kein Systemwechsel

Informationen zur Organspende kommen bald zentral, Selbstbestimmung bleibt erhalten

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor der Bundestagsabstimmung über die Organspende am Donnerstag gingen die Erwartungen in zwei Richtungen: Einige Beobachter setzten auf eine knappe Entscheidung zwischen Widerspruchs- und Zustimmungslösung, die Mehrzahl hielt das Rennen schon zugunsten der Widerspruchslösung gelaufen. Es kam anders: Dieser Vorschlag, klare Option von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Es wird also nicht der Fall eintreten, dass jeder, der einer Organspende nicht ausdrücklich widersprochen hat, automatisch zum Spender wird. Gegen diesen Vorschlag stimmten 379 Parlamentarier, 292 stimmten dafür. Für die Entscheidung, die ethische Fragen berührt, war der Fraktionszwang aufgehoben worden.

Zu den Unterstützern der Widerspruchslösung zählten neben Spahn auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und Petra Sitte von der LINKEN. Außerhalb des Bundestages war der Ansatz unter anderem von der Bundesärztekammer, dem Deutschen Ärztetag und der Deutschen Herzstiftung befürwortet worden. Auf der Kampagnenplattform Change.org hatten sich mehr als 150.000 Unterzeichner für die Widerspruchslösung ausgesprochen.

Der gescheiterte Entwurf sah auch ein Register der Spendenwilligen vor, bei dem Ärzte vor einer Transplantation nachfragen müssten. Wenn dort kein Eintrag existiert, waren noch Nachfragen bei Angehörigen nach einem schriftlichen Widerspruch oder einer sonstigen Willensäußerung geplant.

Die wichtigste Zielstellung des geschilderten Vorgehens war die Erhöhung der Spendenzahlen, denn einer Warteliste von etwa 9000 Kranken standen im vergangenen Jahr nur 932 Spender gegenüber. Für die Gegner der Widerspruchslösung, die sich letztlich durchsetzten, galt es hingegen als nicht erwiesen, dass auf diesem Weg eine höhere Zahl an Spenderorganen erreicht werden könne. So war die Spenderate in Brasilien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland, Luxemburg und Wales nach Etablierung einer Widerspruchslösung sogar gesunken, in Schweden und Singapur änderte sich die Spenderzahl dadurch nicht. Auch in Spanien, auf dessen Erfolgsgeschichte oft verwiesen wird, blieb die Spenderate sechs Jahre nach Einführung der Widerspruchslösung konstant. Dass sie dann anstieg, hat nach Auffassung von Experten eher mit der Verbesserung der Infrastruktur für Transplantationen zu tun.

Durchgesetzt hat sich am Ende mit 432 Abgeordnetenstimmen der Gegenvorschlag einer anderen Gruppe von Bundestagsabgeordneten um die Grünen-Chefin Annalena Baerbock und LINKE-Vorsitzende Katja Kipping. Ihr Entwurf, der mit dem Begriff »Zustimmungslösung« zusammengefasst wird, soll das Recht auf körperliche Unversehrtheit wahren. Die Abgeordneten hatten vor einem tiefen Eingriff in die Selbstbestimmung gewarnt. Stattdessen sollten alle Bürger direkter angesprochen werden. Wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Bürgeramt Infomaterial bekommen. Durch die Kopplung mit der Dokumentenausgabe soll ein Mindestabstand zwischen den Ansprachen von zehn Jahren erreicht werden. Mit einem ähnlichen Vorgehen hat die Schweiz gute Erfahrungen gemacht.

Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Organspende ist von der entscheidenden Voraussetzung »Hirntod« die Rede. Was bedeutet das Kriterium »hirntot«?

Ferner soll schon beim Abholen des jeweiligen Dokuments die Möglichkeit bestehen, sich direkt vor Ort in ein neues Online-Register eintragen zu lassen, mit Ja oder Nein. Änderungen wären jederzeit möglich. Die Abgeordneten erhoffen sich dadurch einen besseren Überblick über die Wünsche der Bürger in dieser Frage. Bislang verschicken die Krankenkassen Spendeausweise, die jeder selbst ausfüllen kann und bei sich tragen soll. Das hat aber nur unzureichend funktioniert, denn die Zustimmung zur Organspende war in Umfragen immer deutlich höher als die Zahl aktuell ausgefüllter Spendeausweise. Im angenommenen Vorschlag wird auch den Hausärzten eine wichtige Rolle eingeräumt: Sie sollen alle zwei Jahre ergebnisoffen über das Thema informieren und zum Registereintrag ermuntern.

Nach einer Übergangszeit soll die Neuregelung zwei Jahre nach der Verkündigung eines entsprechenden Gesetzes in Kraft treten.

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