Prokop will kämpfen, Hanning macht Druck
Handball-EM: Nach dem 24:25 gegen Kroatien haben die deutschen Spieler das Halbfinale quasi abgeschrieben, der Trainer steht in der Kritik
Auch eine Mütze Schlaf konnte den Schmerz bei Christian Prokop nicht lindern. »Es ging mir beim Aufwachen nicht sehr viel besser als gestern Abend«, sagte der Bundestrainer. Mit kleinen Augen hockte Prokop im Raum »Schönbrunn« des vornehmen Hilton Hotels in Wien und analysierte mit ruhiger Stimme das abrupte Ende der deutschen Halbfinalträume.
»Wir haben unser numerisches Ziel verpasst, aber wir haben nach wie vor den Hunger, in den beiden nächsten Spielen Vollgas zu geben«, sagte Prokop am Sonntag. Auf einer Teamsitzung am Morgen hatte er seine Mannschaft auf den EM-Endspurt eingeschworen. »Wir wollen genauso auftreten wie gegen Kroatien«, sagte Kapitän Uwe Gensheimer.
Im Handball-Drama gegen gegen die weiter ungeschlagenen Kroaten (24:25) sei das deutsche Team »nur einen Millimeter davon entfernt« gewesen, die Chance auf das Halbfinale am Leben zu halten. Nur dreimal, beim 1:0, beim 2:1 und beim entscheidenden 25:24, hatten die Kroaten geführt - in einem Spiel, das als eines der besseren in die Geschichte dieser EM eingehen wird. Im Tollhaus der Wiener Stadthalle hatte das Team von Bundestrainer Christian Prokop den Gegner 45 Minuten lang im Griff, ehe noch der Faden riss.
Während in der Heimat schon Diskussionen über Prokop begannen, stärkte DHB-Vizepräsident Bob Hanning seinen Trainer in Wien - erteilte mit Blick auf die Partien am Montag gegen Gastgeber Österreich und am Mittwoch gegen Tschechien aber auch einen klaren Siegauftrag.
Es sei »elementar wichtig für Mannschaft und Trainer, das erfolgreich zu Ende zu bringen. Diesem Druck müssen wir standhalten.« Am Montagabend, das betonte Hanning, »wird sich zeigen, was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer. Österreich in Österreich ist der beste Gegner, um all diese Fragen zu überprüfen.«
Fakt ist aber auch: Deutschland spielte sein drittes großes Turnier unter Prokop und wieder wurde das sportliche Ziel verfehlt. Nach Platz neun bei Prokops verpatzter EM-Premiere 2018 und dem undankbaren vierten Platz bei der Heim-WM vor einem Jahr ist jetzt maximal noch Rang fünf drin - zwingende Voraussetzung dafür ist ein Sieg gegen Österreich.
»Wir können noch nach Stockholm kommen und um Platz fünf spielen, das muss jetzt das Ziel sein«, sagte Hanning. Die Spiele sind womöglich mehr als nur ein Charaktertest: Gelingen der Mannschaft keine zwei Siege, wird die Trainerdiskussion ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen an Fahrt aufnehmen. Auch Handball ist ein Ergebnissport, erst recht im mitgliederstärksten Verband der Welt.
»Christian Prokop hat sich im Vergleich zu seiner ersten EM 2018 natürlich auch weiterentwickelt, aber unter dem Strich bleibt, dass es wieder nicht gereicht hat«, sagte 2007-Weltmeister Christian Schwarzer. Torwartlegende Andreas Thiel (59) meinte: »Wir hatten eine vergleichsweise leichte Auslosung, und wir haben unser Ziel nicht erreicht, das ist nun mal Fakt, und das ist schade.«
Deutlicher in seiner Kritik wurde Ex-Welthandballer Daniel Stephan. »Wir sind seit der WM 2019 keinen Schritt nach vorne gekommen, haben die Vorrunde total verschlafen, das darf nicht passieren«, sagte Stephan und nannte »Defizite im Angriff, die zweite Welle funktioniert nicht. Das ist alles sehr ernüchternd.« Prokop sei »nicht der Richtige«, habe »zu wenig Erfahrung. Es gibt nach wie vor kein Konzept gegen eine offensive Deckung, und die Wechsel tragen zur Verunsicherung bei.«
Die Kritik an Prokop ist harsch und in Teilen nachvollziehbar. Doch darf bei der Analyse auch nicht vergessen werden, dass Prokop durch die vielen Verletzungen mit großem Handicap in das Turnier startete. Der Bundestrainer musste sechs Stammkräfte ersetzen und in Rekordzeit eine neue Spielführung im Rückraum installieren. Das gelang zumindest teilweise, der Auftritt gegen Kroatien war über weite Strecken mitreißend und richtig gut. Genauso eine Vorstellung wird auch am Montag vonnöten sein. Vor allem für Prokop. (SID)
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