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Festjahr oder Furcht
Ein Kölner Verein will jüdisches Leben würdigen - und Jürgen Rüttgers einen »Aufstand«
Jüdischer Wein beim Lesekreis, Krav Maga im Sportverein, Nebenjob bei einer Rabbinerin, Klezmerkonzerte im Palmengarten. Linke in Frankfurt am Main kommen mit jüdischer Kultur oder dem, was sie dafür halten, schon mal in Berührung.
Das dürfte dem Verein »321-1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« gefallen. Mit einem Festjahr will er 2021 jüdisches Leben in Deutschland sichtbar machen, wie er am Dienstag in Berlin mitteilt. Als Anlass dient ein Ereignis des Jahres 321: Damals wies der römische Kaiser Konstantin den Kölner Stadtrat an, Juden wieder zum Stadtrat zuzulassen, erklärt Abraham Lehrer, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden. Geplant sind eine große Feier in Köln, bundesweite Kulturevents, Buchprojekte sowie ein »XXL Sukkoth«, also ein riesiges jüdisches Laubhüttenfest im Herbst. Die Veranstalter wünschen sich, dass Unternehmen, Kirchen, Gewerkschaften und andere sich einbringen. Der Zentralrat der Muslime hat seine Teilnahme bereits zugesagt.
Die Kosten dafür sollen Bund, Länder und Kommunen tragen. »Wir werden 6,6 Millionen für 2020 zur Vorbereitung des Jahres erhalten«, sagt der Vorsitzende des Vereins, Matthias Schreiber, dem »nd« zur Finanzierung. Angestoßen habe das Ganze Nordrhein-Westfalen mit Mitteln in Höhe von 600.000 Euro. Über die Förderung für das nächste Jahr werde derzeit noch verhandelt.
Eine Begründung für die Notwendigkeit der Initiative nennt der zuständige Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein: »Die Mehrheit der Bilder, die bei dem Gedanken an jüdisches Leben in den Köpfen entsteht, hat sehr viel mit jüdischem Sterben zu tun.« Dies zu ändern, hat zumindest die Vorstellung am Dienstag noch nicht vermocht. Sechs von sieben Fragen der Pressevertreter*innen bezogen sich auf Antisemitismus, nur eine einzige auf jüdisches Leben. »Meine Eltern waren im Konzentrationslager. Ich kann das nicht vergessen. Wir wollen das nicht vergessen«, stellt Lehrer klar. Aber er wünsche sich eben auch, dass ein Blick auf den kulturellen, wissenschaftlichen oder religiösen Beitrag geworfen wird, den jüdische Menschen hierzulande geleistet haben. Angesichts des »explodierenden Antisemitismus« solle ein Zeichen für das jüdische Leben gesetzt werden, erklärt er. Denn was man kenne, hasse man nicht, so das Credo der Organisatoren.
Für viele von Lehrers Gemeindemitgliedern sind Shitstorms im Internet längst normal. Während die Zahl der Antisemiten nicht unbedingt zugenommen habe, entlade sich deren Hetze heute ungenierter, ist die Herrenrunde sich einig. Anders als früher unterschrieben Hetzer Schmähbotschaften heute oft mit ihren Klarnamen. Gerade gegen Hass im Netz müsse mit »Mitteln der Repression« reagiert werden, findet Klein und fordert: Der Straftatbestand der Volksverhetzung müsse erweitert werden.
Besonders kämpferisch gibt sich Jürgen Rüttgers (CDU), ebenfalls Kuratoriumsmitglied des Vereins und ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen: »Wir wollen einen Aufstand gegen Antisemitismus organisieren!« Wie der ablaufen soll, ob er dafür zu Demonstrationen aufrufen wolle, beantwortet er jedoch nicht.
Das Festjahr könnte allerdings zu einem Spagat zwischen Feierei und Furcht werden. Wenn jüdische Menschen sich aufgrund der Angriffe, die sie ständig erfahren, lieber zurückziehen, statt Tür und Tor zu öffnen, wäre das nicht verwunderlich.
Der Kölner Verein habe kein spezielles Sicherheitskonzept entwickelt, sagt Schreiber auf Nachfrage von »nd«. Dies sei Aufgabe der Kommunen und Landeskriminalämter. Klein zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass selbst die jüdische Gemeinde zu Halle sich an dem Festjahr beteiligen werde, auf die es im vergangenen Oktober einen rechtsterroristischen Anschlag gegeben und der die Polizei zunächst nicht geholfen hatte.
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