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Auf den Spuren der Macht

Mit Stadtführungen im Regierungsviertel macht eine NGO auf ihre Anliegen aufmerksam

  • Jonas Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Fußgängerzone, wie von Rot-Rot-Grün mal in Aussicht gestellt, ist die Prachtstraße »Unter den Linden« bis heute nicht. Zwar gibt es Busspuren und auch die U5 wird gerade verlängert, doch das war es dann auch mit der Verkehrswende. Dominierend sind nach wie vor rollende Blechkisten, die über asphaltierte Fahrspuren donnern. Fahrradwege? Fehlanzeige.

Eigentlich ein sehr passendes Bild, findet Mattis. Der 27-jährige Student arbeitet freiberuflich für den Verein »Lobby Control« als Stadtführer. An diesem kalten Dienstagnachmittag im Januar erzählt er einer Gruppe angehender Lehrer*innen aus Essen, dass in der Straße mehrere große Unternehmen der KfZ-Branche Ausstellungsräume und Büros hätten - und auch der Verband der Automobilhersteller sei nicht weit entfernt. Willkommen im Eldorado der Autolobby.

Zu Beginn des lobbykritischen Stadtrundganges, den die Referendar*innen aus Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Berlin-Reise besuchen, sagt Mattis: »Viele politische Entscheidungen werden hier in diesen Straßen getroffen.« Hier, zwischen dem Bahnhof Friedrichstraße und der Straße »Unter den Linden«, sind viele Gebäude allerdings eher unprätentiös. Zeigte Macht sich in vergangenen Zeiten häufig in Form von pompöser Architektur, versteckt sie sich heute, so scheint es, nicht selten hinter seelenlosen Glasfassaden oder langweiligen Betonmauern.

Der erste Stopp der Tour ist dann auch vor einem eher unscheinbaren Gebäude in Klinkeroptik. Denn hier sitzt der Deutsche Brauer-Bund, der jedes Jahr den Titel »Botschafter des Bieres« an eine*n Politiker*in vergibt. Auch sonst tue der Verband viel für die Kontaktpflege, berichtet Mattis. Kaum verwunderlich also, dass Aufklärungskampagnen über die Risiken von Alkohol anmuten wie Werbemaßnahmen großer Brauereien.

Bei aller Kritik geht es »Lobby Control« gar nicht darum, Lobbyismus als solchen zu bekämpfen. Der gehöre zu einer Demokratie dazu, findet Mattis. Schließlich brächten auch Nichtregierungsorganisationen ihre Anliegen so ein.

Auf dem Weg zur Friedrichstraße stoppt der Guide vor einem schmucklosen Bürogebäude. Neben vielen weiteren trägt das Eingangsschild den Namen der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM). Klingt harmlos, doch dahinter verbergen sich die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Mit Zeitungsanzeigen und groß angelegten Kampagnen versucht die Initiative, die Positionen der mächtigen Verbände im Diskurs zu verankern - so etwa bei der Einführung des Mindestlohns, dem vermeintlichen Todesstoß für die deutsche Wirtschaft. Der Lobbyismus der INSM trägt zuweilen aber auch groteske Blüten: Vor mehreren Jahren wurde bekannt, dass die Initiative sich Dialoge in der ARD-Vorabendsendung »Marienhof« gekauft hatte, um ihre Positionen subtil zu verbreiten. »Wir nennen das indirekten Lobbyismus«, erklärt Mattis.

Ein weiteres Beispiel dafür liefert der Energieriese RWE. Als eines von etwa 135 Unternehmen aus 15 Ländern hat der Konzern seinen Berliner Sitz im Internationalen Handelszentrum in der Friedrichstraße. Dass die Parole »Hambi bleibt« das Eingangsschild des Konzerns vor dem Hochhaus schmückt, dürfte dem Unternehmen egal sein. Mit Hilfe von Unterrichtsmaterialien versuche RWE, schon in den Schulen Kinder zu beeinflussen, berichtet Mattis. Damit ist der Konzern nicht allein: 16 der 20 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland böten auch Schulmaterialien an. Diese seien »oft einseitig oder sogar manipulativ«. Und durch die Digitalisierung und die schlechte finanzielle Ausstattung vieler Schulen werde das Problem eher größer als kleiner, glaubt der Tourguide.

Die große Machtungleichheit ist eines von zwei Hauptproblemen, die »Lobby Control« anprangert. »Finanzstarke Akteure haben viel mehr Mittel, sich Gehör zu verschaffen«, sagt Mattis. Außerdem sei Lobbyismus in Deutschland extrem intransparent, was die gesellschaftliche Kontrolle erschwere. Das berge die »Gefahr, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in die politischen Institutionen verlieren«.

Bei einem Stopp im eindrucksvollen Zollernhof, wo neben dem ZDF-Hauptstadtstudio auch der Lobby-Dienstleister »Eutop« sitzt, berichtet Mattis, dass in Berlin schätzungsweise etwa 6000 Lobbyist*innen arbeiteten. Die genau Zahl kenne allerdings niemand, denn in Deutschland gebe es kein Lobbyregister. Die Einrichtung eines solchen ist deshalb eine zentrale Forderungen von »Lobby Control«. Genau wie eine Sperrfrist von drei Jahren für hochrangige Politiker*innen, bevor diese in die Lobbyarbeit wechseln dürfen.

Nach zwei Stunden endet der Rundgang mit Blick auf das italienische Restaurant »Il Punto«. Ein wichtiger Treffpunkt für Politiker*innen und Lobbyist*innen, erzählt Mattis. So könnten Unternehmen dort die »Kanzlerecke« reservieren, um bei einem gesetzten Dinner mit hochrangigen Politiker*innen plaudern zu können.

Heute reiche die Zeit nicht, sagt Mattis, doch eigentlich endeten die Touren am Reichstag, inklusive netter Symbolik: »Die Glaskuppel soll Transparenz symbolisieren.«

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