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Nach Hungerstreik: Untersuchungshäftling in Leipzig freigelassen
30 Jähriger soll an Silvester Polizisten angegriffen haben / Solidaritätskomitee bezeichnet Freilassung als »Teilerfolg«
Nach der Silvesternacht in Leipzig-Connewitz saßen drei Menschen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Polizisten angegriffen zu haben. Nun wurde einer der Häftlinge freigelassen. Dieser trat 6 Tage vorher in den Hungerstreik. War das ein Grund für die vorzeitige Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt in Leipzig?
Für viele kam die Aussetzung des Urteils am Leipziger Amtsgericht tatsächlich recht überraschend. Der 30-Jährige befand sich seit drei Wochen in Untersuchungshaft. Ihm wird vorsätzliche Körperverletzung, ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Gefangenenbefreiung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft sei »unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten« zu dem Schluss gelangt, dass keine Fluchtgefahr bestehe, teilte die Leipziger Anklagebehörde am Mittwoch mit. Sollte der Mann gegen die ihm erteilten Meldeauflagen verstoßen, werde der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt, hieß es weiter.
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Der freigelassene Beschuldigte nennt sich selber »Néstro«. Am Freitag den 17. Januar trat er nach Angaben des »Solidaritätskomitee 31. 12.« in einen Hungerstreik. In einem emotionalen Brief, den die Unterstützungsgruppe veröffentlichte, nannte er Gründe für seinen Hungerstreik: »Es macht mich wütend, wie die Obrigkeit – Richter und auch Staatsanwaltschaft – uns ausnutzt, um ihr Handeln zu rechtfertigen«, heißt es dort. Er forderte »die Freilassung aller drei seit dem 01.01.2020 in Untersuchungshaft Sitzenden bis zu einer fairen Verhandlung, um unsere Unschuld zu beweisen.«
Wenige Stunden nach seiner Entlassung sagte Néstro, seine Freilassung sei auch für ihn »überraschend« gewesen. »Der Witz ist, dass die Freilassungsgründe am Ende die selben waren, die drei Wochen vorher vom Haftrichter einfach ignoriert wurden um mich in Haft zu stecken«, kritisierte »Néstro«. Sein Anwalt habe von Anfang an auf verschiedene Verfahrensfehler hingewiesen, diese seien aber weitgehend ignoriert worden. Am Ende hätte die Justiz wohl »ein bisschen Bammel wegen des Hungerstreiks bekommen«. Auch eine Sprecherin des »Solidaritätskomitee 31.12.«, Konrad Mendel, vermutete gegenüber »nd«, dass Néstros Hungerstreik den Repressionsapparat so unter Druck gesetzt haben solle, dass eine Freilassung unumgänglich war. »Auch, wenn Néstros Forderungen nach der Freilassung aller drei Gefangenen noch nicht erfüllt ist, hat er hier zumindest einen Teilerfolg erlangt«, so Mendel. Seiner Einschätzung nach wollte die Staatsanwaltschaft mit der Entlassung »Nestros« einer Haftprüfung zuvorkommen, die am Donnerstag hätte stattfinden sollen.
Die Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO), die sich für die Rechte von Inhaftierten einsetzt, solidarisierte sich in einer Mitteilung vom Mittwoch mit dem Hungerstreik. Sie gibt aber zu Bedenken: »Die von ihm gewählte Form des Hungerstreiks ist dabei eine krasse und auch diskussionswürdige Widerstandsform, weil sie bedeutet, den eigenen Körper und damit sich selbst massiv zu schaden.«
Nach seiner Freilassung beendete »Néstro« seinen Hungerstreik. Das würde für ihn außerhalb der Knastmauern keinen Sinn ergeben. Die Justizvollzugsanstalt Leipzig (JVA) erklärte vorher, dass kein Gefangener der JVA die Nahrungsaufnahme verweigere. Bei den im Zusammenhang mit den Silvester-Krawallen Inhaftierten sei dies »besonders eingehend geprüft« worden. »Die JVA lügt«, sagte ein Sprecher des »Solidaritätskomitees 31.12« auf Rückfrage. Auch »Néstro« bekräftigte, dass er sich sechs Tage im Hungerstreik
befand.
In dem linksgeprägten Leipziger Stadtteil hatten rund 1.000 Menschen Silvester gefeiert. Kurz nach Mitternacht wurden beim Versuch, einen Randalierer festzunehmen, drei Polizisten verletzt. Die Täter sind unbekannt. Die bislang inhaftierten Beschuldigten haben damit nichts zu tun. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen dieses Angriffs weiterhin wegen versuchten Mordes gegen Unbekannt. Die Vorfälle hatten eine bundesweite Debatte über »Linksextremismus« ausgelöst. Auch Einsatzstrategie und Kommunikation der Polizei gerieten in die Kritik. Lesen Sie dazu auch: Das Märchen vom linken Terrorismus. Wie die Polizei Falschmeldungen verbreitet und was daraus für Journalisten folgt.
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