Bohnen, Brennholz, Himbeeren

Zwischen Utopie und Dystopie: Der Soloabend »Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater« in Berlin

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Sophie Rois hat ins Deutsche Theater geladen. Und wenn die Königin lädt, dann macht sich das Theatervolk auf nach Berlin-Mitte, vorbei an den Büsten von Max Reinhardt und Wolfgang Langhoff, rein in den großen Saal mit dem kuscheligen roten Samt.

Im Publikum: Bekannte Gesichter. Vielleicht auch gemischte Gefühle. Wer wie Rois über 25 Jahre an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gespielt hat, kann auf einen weit über Berlin hinausreichenden Kreis von jüngeren und älteren Verehrern ihrer Person und ihrer Kunst blicken. Sie betritt die Bühne, in der Mitte ein Tisch mit Teeservice, Zigaretten, Aschenbecher und Buch.

Rauchen, sitzen, Geschichten erzählen - das ist eine Lebensform, die hier zur Kunst erhoben wird. Rois lehnt sich zurück, steckt sich eine an und liest. Mit einer Stimme, so rauchig wie die dunkelsten Kneipen von Kreuzberg 36. Nach dem unheimlich abgründigen »Have a cup of tea mit Sophie Rois« 2018 mit Texten von Ian McEwan und Liedern von The Kinks ist es ein weiterer Solo-Abend: »Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater«.

Allein auf der großen Bühne, die man erst einmal füllen muss. Aber das scheint eine einfache Übung zu sein, als ob für Rois keine Bühne zu groß sein könnte. Und den Saal füllen? Ebenso einfach. Die nächsten Vorstellungen sind auch schon restlos ausverkauft. Ans Deutsche Theater kam Rois eigentlich nur, weil Tim und Michi von den Berliner Sozis vorsätzlich die Castorf-Bühne zerstörten. Die Zeiten haben sich geändert, nicht nur für die Struppis von der SPD. Rois wird 2022 an die Volksbühne zurückkehren. Intendant wird dann René Pollesch sein, der zurzeit ebenfalls am DT engagiert ist. In seinem Stück »Cry Baby« hält die in ein bodenlanges Nachtkleid gehüllte Rois Hof in einem Barockbett von überbordenden Ausmaßen. Der Abend lebt von ihrem Auftritt, sie versprüht Witz und Geist.

»Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater« nimmt Marlen Haushofers »Die Wand« zur Grundlage. Der Roman ist über fünfzig Jahre alt und wurde vor ein paar Jahren verfilmt, als gefühlte drei Stunden andauernde Übung in mimischer Ausdruckslosigkeit von Martina Gedeck - kürzlich übertroffen nur von Robert de Niro in »The Irishman«.

Eine Frau reist in die Berge. Gefangen von einer unsichtbaren Wand wird sie vom Tal getrennt und muss in der Hütte leben. Alles menschliche Leben außer ihrem scheint erstarrt. So arrangiert sie sich notgedrungen mit ihrer Robinson-Crusoe-Lage. Das Buch wurde, so hört man, im vergangenen Jahr ein überraschender Erfolg in Frankreich, nachdem es eine Bloggerin zufällig entdeckte und als ökofeministisches Erweckungserlebnis geadelt hat. Bei Rois klingt es prosaischer: »Ich beschäftige mich mit dem Haushalt und den Viechern.« Kartoffeln, Bohnen, Brennholz. Ein Ausflug in die Himbeeren. Rois vermeidet den raunenden Ton existenzialistisch angehauchter Selbsterkundung. Stattdessen herrscht sanfter Spott vor.

Einen Kontrast zum Mangel an Handlung und Nahrungsmitteln in der Erzählung setzt auch die Bühne, für die Clemens Maria Schönborn zusätzlich zur Regie verantwortlich zeichnet. Ein pervers riesiges Stück Erdbeersahnecremetorte schwebt herab. Zu allem Überfluss ist es noch begehbar. Rois krabbelt auf die Sahne mit Schokosplit und plappert übers Hüttendasein. »Allan wia a stan«, singt sie als Coverversion einer Coverversion von Wolfgang Ambros von Bob Dylans »Like a Rolling Stone«. Es ist eines von mehreren Liedern in österreichischer Mundart.

Die Isolation als Metapher - so wie in dem Film »In My Room« (2018) der das plötzliche Verschwinden aller anderen Menschen zum Spiegel der Subjektivität des Protagonisten werden ließ. Marx bemerkt im »Kapital«, dass die bürgerliche Ökonomie Robinsonaden liebt. Jeder auf der eigenen Insel, Lamas zähmen und fröhlich kolonisieren. Die Robinsonaden sind die Illusion der Ursprünglichkeit und Unabhängigkeit. Doch sieht Marx darin auch etwas Utopisches. Der Verein freier Menschen könnte wie Robinson zur Arbeit ein unmittelbareres Verhältnis einnehmen als es heute der Fall ist.

Zwischen Utopie und Dystopie schwankt es auch bei Rois. Wenig überraschend war das Leben ihrer Protagonistin vor der unerklärlichen Isolation weder besonders frei noch erfüllt. Der Wunsch, alles (außer man selbst) solle einfach verschwinden, scheint so betrachtet zumindest verständlicher. Man wäre fortan immerhin unbehelligt von den Anforderungen der Mitmenschen. Und kann sich dann genüsslich selbst auf die Nerven gehen. Das aber dürfte nur selten so vergnüglich und kurzweilig anzuschauen sein wie bei der großartigen Sophie Rois.

Nächste Vorstellungen: 16.2., 26.2.

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