Ein Nikab kommt selten allein

Unter der Debatte über ein Vollverschleierungsverbot leiden vor allem muslimische Migrantinnen, meint Nadia Shehadeh

  • Nadia Shehadeh
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine weiße Konvertitin hat mit ihrem Wunsch, in einer Kieler Hochschule den Nikab, also einen Gesichtsschleier, zu tragen, für Schlagzeilen gesorgt. Die Folge war unter anderem eine Diskussion über ein Vollverschleierungsverbot in Schleswig-Holstein, das am Montag zumindest für Schulen beschlossen wurde. Eine deutsche Frau hat also mal wieder eine typisch deutsche Debatte losgetreten - und ausbaden werden es Angehörige der muslimischen Diaspora. Leider.

In den vergangenen Jahren waren es vor allem deutsche Konvertitinnen, die mit dem in der Öffentlichkeit zur Schau getragenen Gesichtsschleier auf die Pirsch gingen und dabei sehr sichtbar wurden: Schon vor der Kieler Studentin Katharina K. sorgte die konvertierte Nikab-Trägerin Nora Illi 2016 bei »Anne Will« für Aufruhr. Im selben Jahr wanderte der Fall einer vollverschleierten Konvertitin, die eines Bielefelder Lokals verwiesen wurde, durch die nationale Presse. Jedes Mal folgten aufgrund dieser Einzelfälle die immer selben Reflexe: die Debatte eines Vollverschleierungsverbots, peinliche Tweets von Politiker_innen, die ihren Islamhass unverblümt zur Schau stellen konnten, und die Annahme, in Deutschland würden sich abertausende vollverschleierte Frauen in den Startlöchern befinden, um sich akademische Berufe - bevorzugt im Bereich Juristerei oder Schulwesen - unter den Nagel zu reißen. Ein Bärendienst wird hiermit niemandem erwiesen - für muslimische gehaltene und Kopftuch tragenden Frauen schon gar nicht.

Ich selbst habe von Personen, die irgendwann muslimisch geworden waren, oft eine sehr »offensive« Performance erlebt - manchmal durch das Tragen eines Kopftuches oder dem Bemühen, möglichst »orientalische« Kleidung zu tragen, manchmal durch das zur Schau stellen eines bestimmten Habitus, der sich teilweise bis in Mimik, Gestik, Nutzen von arabische Phrasen oder sogar Servieren von Tee geäußert hatte. Nennen wir es der Einfachheit halber »Auto-Orientalismus«.

Die Konversion geht oft Hand in Hand mit einer gewissen Prise »kultureller Aneignung«: Das Tragen jeweils landestypischer Kleidung (je nachdem, mit welcher Region sich aufgrund von Urlaub, Auslandssemester oder Heirat besonders identifiziert wurde), das manchmal fast schon fetischisierte Interesse für »den Nahen Osten«, das Überidentifizieren mit einer muslimischen Community (und damit: das gefühlte Ende des weiß-christlichen Deutschseins). Der Eindruck in den vergangenen Jahren: Konvertit_innen überall, YouTube-Kanäle von weißen Konvertiten, die erst Tipps für das Leben »AlsGuterJunge« gaben, im Salafismus landeten und sich dann weiter als »Extremismus«-Aussteiger-Erklärbären verdingten, junge Mädchen, die heimlich konvertierten und nach Syrien ausreisten und nun in Fernsehdokumentationen wieder auftauchen. Nicht zu vergessen: die Salafismus-All-Stars Pierre Vogel und Sven Lau. Und ab und zu eben diese vollverschleierten Frauen, die zu rasenden Debatten führten.

Dabei ist die Praxis, sich einer Religionsgemeinschaft zugehörig zu fühlen, ihr beizutreten, sich an die institutionalisierten Regeln zu halten, so alt wie Religionen selbst und infolge der Religionsökonomie vieler Glaubensrichtungen (vor allem der missionarisch aktiven) auch immer gewünscht. Im Falle der Studentin Katharina K. allerdings zeigt sich eine alte und sehr unangenehme Idee: Demnach seien »Kultur« und »Religion« zwei komplett voneinander getrennte Kategorien - und in letztere könne man einfach eintreten mit dem Gefühl objektiver Deutungshoheit und dem Anspruch, den wirklich richtigen und »puren« Islam zu leben. Zitat Katharina K.: »Muslime sind nicht der Maßstab für den Islam, sondern die Quellen des Islams selber.« Diese Idee, gepaart mit einem Lebensweg, der vor allem geprägt ist von Privilegien der Mehrheitsgesellschaft, erklärt auch, warum es immer wieder weiße Konvertitinnen sind, die lautstark und vermeintlich mutig in diesen Vollverschleierungsdebatten aktiv sind: Sie können es sich leisten, weil sie nicht ihr Leben lang systematisch diskriminiert, institutionell benachteiligt und rassifiziert wurden.

Die Frauen der Diaspora hingegen werden sich weiterhin in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft durchkämpfen müssen - und durch Einzelfallscharmützel wie den einmal im Jahr auftretenden Nikabs weißer Konvertitinnen noch mehr belastet. Wer dabei gewinnt? Niemand natürlich.

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