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Rassismus auf Ehrentribüne und Rängen
Hertha-Spieler Torunarigha wird von Schalke-Fans beleidigt, der zweite Fall von Diskriminierung in dieser Saison
Als Clemens Tönnies kurz nach dem Ende einer dramatischen Verlängerung fröhlich pfeifend durch die Interviewzone der Arena auf Schalke lief, wusste er vermutlich noch nicht, dass auch sein Name eine Rolle in den Nachbetrachtungen der Partie spielen würde. Der Aufsichtsratschef von Schalke 04 freute sich einfach, dass sein Verein einen 0:2-Rückstand in einen 3:2-Erfolg verwandelt hatte.
Erst in der halben Stunde nach der Partie wurde deutlich, dass weitere Faktoren Einfluss auf dieses Ergebnis genommen hatten. Im Verlauf der zweiten Halbzeit sollen Zuschauer - mutmaßlich Anhänger des FC Schalke - den Berliner Spieler Jordan Torunarigha durch das Imitieren von Affenlauten rassistisch beleidigt haben. »Ich möchte mich im Namen des FC Schalke 04 dafür bei dem Jungen und bei Berlin entschuldigen«, sagte Trainer David Wagner später, aber das war ein schwacher Trost für die Gäste aus der Hauptstadt.
Denn für den tief gekränkten Verteidiger, der in Chemnitz als Sohn des ehemaligen nigerianischen Nationalspielers Ojokojo Torunarigha aufgewachsen ist, war der Pokalabend längst zu einem traumatischen Erlebnis geworden. »Jordan (…) stand heulend auf dem Platz«, erzählte Berlins Kapitän Niklas Stark später.
Torunarigha musste zum Weiterspielen überredet werden, verlor jedoch in der Verlängerung die Nerven. Nachdem er beim Stand von 2:2 gefoult worden war, warf er einen Getränkekasten auf den Boden und sah die gelb-rote Karte. In Unterzahl verlor Hertha BSC das wohl beste Spiel unter Trainer Jürgen Klinsmann noch. Die Schilderungen der Berliner deuten darauf hin, dass dieser Akt der Frustration eine Folge des Ausnahmezustandes war, in dem Torunarigha nach den rassistischen Ausfällen weiterspielte. »Die emotionale Situation von so einem jungen Kerl, die kann man sehr schwer einschätzen«, sagte Klinsmann.
In der Bundesliga sind solche Beleidigungen eher selten. Dass Rassismus den Verlauf eines Spiels beeinflusst, ist praktisch noch nie in dieser Ausprägung vorgekommen.
Schalke 04 ist damit bereits zum zweiten Mal im laufenden Spieljahr mit dem Thema Rassismus konfrontiert: Clemens Tönnies wurde in dieser Saison ebenfalls schon auffällig und war deshalb drei Monate lang gesperrt. Diese Schalker Vorgeschichte führt zu der These, dass der Großmetzger mit seinem rassistischen Kommentar für den Kampf gegen den Klimawandel Grenzen aufgeweicht haben könnte, die nun am Dienstagabend von ein paar Zuschauern übertreten wurden. Tönnies entschuldigte sich zwar vielfach für seinen Vorschlag, »jedes Jahr 20 Kraftwerke« in Afrika zu finanzieren, »dann hören die auf, die Bäume zu fällen, hören auf, wenn’s dunkel ist, wenn wir sie nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren.« Aber er durfte Aufsichtsrat bleiben, gilt nach der Sperre als rehabilitiert.
Die Botschaft dieses Umgangs des FC Schalke 04 mit seinem mächtigen Chef ist gefährlich: Nämlich dass eine rassistische Äußerung einem schon mal rausrutschen kann, man aber deshalb noch lange kein ein echter Rassist ist. Und man nach einer Entschuldigung und ein paar Wochen Zurückhaltung wieder mit offenen Armen empfangen wird. Dieser Eindruck bleibt bei den Leuten auf den Tribünen in der Arena hängen. Jenseits der von irgendwelchen Agenturen designten Hochglanzkampagnen tut der Fußball sich weiterhin schwer mit dem Problem.
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Auch die Schiedsrichter wirkten am Dienstag überfordert. Er habe vor der Verlängerung extra bei den Unparteiischen vorgesprochen und darauf hingewiesen, dass sie Torunarigha »schützen müssen, dass sie ihm helfen müssen«, erzählte Klinsmann später. Doch statt zu deeskalieren, statt das von Berlins Trainer erhoffte »Fingerspitzengefühl« zu entwickeln, flog der Verteidiger nach seinem Getränkekistenwurf vom Platz. Und Schalkes Trainer Wagner wurde in der gleichen Szene nach einem halb beruhigenden aber auch ein wenig maßregelnden Griff an den Hals Torunarighas mit einer roten Karte des Platzes verwiesen.
Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes hat Ermittlungen eingeleitet. Noch am Abend erklärte Schalkes Sport-Vorstand Jochen Schneider, der Klub werde »null Toleranz für Vollidioten dieser Art« zeigen und werde alles dafür tun, »die Verantwortlichen ausfindig zu machen«. Sollte das gelingen, stellt sich das nächste Problem: Wie wollen die Schalker überzeugende Sanktionen finden, die nicht im Widerspruch zu der Milde stehen, mit der der Klub Clemens Tönnies bestrafte?
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