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Unternehmenskultur der Schande
Der schwindenden Zuspruch zur Demokratie kann auch mit der Unternehmenskultur in Deutschland erklärt werden, meint Roberto De Lapuente
Alles schien den konservativen Kräften in Thüringen besser zu sein, als ein Ministerpräsident aus dem linken Lager. Daher sprang man über den eigenen Schatten direkt ins Reich der Dunkelheit. Allen Beteuerungen zum Trotz, wonach der AfD der Kampf anzusagen sei: Für Thomas Kemmerich von der FDP sollte die Rechtsalternative dann schon stimmen. Dass der Mann überhaupt keinen Plan, keinen Stab aufzuweisen hatte und zudem von der kleinsten aller vertretenen Parteien im Landtag stammte: Nicht wichtig! Im Kampf gegen einen übrigens recht gemäßigten Linken als Landesvater ist plötzlich alles erlaubt.
Am Wahlabend im Oktober 2019 war noch lange nicht klar, ob es die Liberalen in den neuen Landtag schaffen würden. Einige hundert Stimmen weniger und Kemmerich hätte vergangene Woche nicht als konservativer Ausweichkandidat nominiert werden können. Man hat dem demokratischen Grundverständnis im Lande schweren Schaden zugefügt. Eben nicht nur, weil man die AfD als Ministerpräsidentenmacher einsetzte. Sondern auch, weil man lieber einen Minderheitspräsidenten ins Amt mogelte, als einen, der in diesen wankelmütigen Tagen eine noch recht stabile Mehrheit hinter sich weiß.
Die Öffentlichkeit sah sich zurecht verarscht und mahnte eine machtgeile Parteienkultur an. Kein Wunder, dass die Demokratie in eine Krise gerät. Mit der AfD alleine ist das nämlich nicht zu erklären, sondern eben auch mit dem Verhalten diverser etablierter Parteien.
Ebenso kann der schwindenden Zuspruch zur Demokratie mit der Unternehmenskultur im Lande erklärt werden. Denn die Unternehmer kritisierten die FDP für diese Wende nicht. Nein, sie fanden gar lobende Worte: Der Präsident des Verbands der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, hielt Kemmerichs Coup für »aller Ehren wert«. Erst die »entschlossene Art« von Parteichef Christian Lindner habe den Thüringer Landesverband »auf Spur gebracht«.
Lisa Herzog, Professorin an der Technischen Universität München, erklärt in ihrem aktuellen Buch »Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf« nicht nur, dass der Arbeitsmarkt etwas ist, was man nicht dem freien Markt (und damit seinem Schicksal) überlassen sollte. Man sollte die Teilhabe in den Betrieben stärken und den Arbeitsmarkt fairer und partizipativer gestalten. Denn das gesellschaftliche Demokratiedefizit der vergangenen Jahre, so argumentiert sie, nahm vor allem über den Arbeitsmarkt Fahrt auf, der jetzt seit Jahren dem Zugriff unternehmerischer Allmacht ausgeliefert ist. Es sei an der Zeit, Unternehmen in ihrer inneren Struktur weiter zu demokratisieren und Arbeitnehmerrechte wieder verstärkt auszubauen, so Herzog.
Verantwortungsträger, die zwar fürstlich entlohnt werden, aber keine Verantwortung übernehmen wollen, wenn sie schlecht wirtschaften oder gar Betrügereien forcieren: Das kann politisch und gesellschaftlich nicht so nonchalant hingenommen werden. Denn diese Form von Verantwortungslosigkeit hätten die Menschen resigniert aufgenommen. Die Kleinen zu hängen, während die Großen laufen gelassen werden: Das hat der Demokratieverdrossenheit massiv in die Hände gespielt.
Dass dumpfe Gefühl vieler Menschen, dass Eliten machen können, was sie wollen: Es entsteht also millionenfach in Unternehmenskulturen, die noch immer antiquierte Hierarchien verinnerlicht haben. Unternehmen wirken als Inseln der Gutsherrenart – und stehlen sich aus der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.
Man kann über die Rettung demokratischer Kultur viele Theorien haben. Aber nur mit der Empfehlung den Kampf gegen die AfD aufzunehmen, ist es nicht getan. Man muss daher gegen dieses Wirtschaftssystem vorgehen, das sich auch 2020 noch als Konglomerat selbstherrlicher Duodezfürsten begreift. Sie sind die gefährlichste Brutstätte der Politik- und Demokratieverdrossenheit im Lande.
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