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Sinn Féin hat gute Karten
Ohne die Republikaner geht bei der Regierungsbildung in Irland nicht viel
Die Wahlplakate mit Mary Lou McDonalds Konterfei zierten in einigen Dubliner Vierteln die Fenster gesamter Straßenzüge in den letzten Wochen. Nun muss die in kurzer Zeit so erfolgreich gewordene Parteichefin (seit 2018) von Sinn Féin (SF) die Herausforderung einer Regierungsbildung unter schwierigen Vorzeichen meistern. Denn die hohen Zustimmungswerte für SF sind an viele Erwartungen geknüpft. Insbesondere in der Gesundheits-, Sozial- und Wohnungspolitik wollten viele Wähler*innen in Irland eine Alternative zur Austeritäts-Regierung von Leo Varadkar. Ob SF bei einer Regierungsbildung Erfolg haben kann, hängt davon ab, ob sich entweder das vielgestaltige Mitte-Links-Lager, neben SF sind hierbei die Grünen, die Labour Party, die Sozialdemokraten und das linke Bündnis »Solidarity - People before Profit« sowie einige unabhängige Abgeordnete zu nennen, zumindest taktisch einen lässt, oder ob sich eine der beiden ewigen Regierungsparteien Fine Gael (FG, 35 der 160 Sitze) oder Fianna Fáil (FF, 38 Abgeordnete) auf eine Zusammenarbeit mit SF einlässt. Beide Möglichkeiten stellen Sinn Féin jedoch vor große Herausforderungen.
Neben SF (24,5 Prozent der Stimmen und 37 Mandate) sind die Grünen der nächste Sieger dieser Wahlen. Sie konnten zwölf Mandate gewinnen, weil die Partei für viele Wähler*innen, deren Erstpräferenzstimme an eine andere Partei ging, anschlussfähig ist. Die irischen Grünen sind bürgerlicher und weniger links als ihre Schwesterparteien in Schottland und selbst England. Gerade das macht sie nun für alle möglichen Regierungsoptionen relevant.
Zufrieden mit den Wahlen können auch die von der Labour Party abgespaltenen Sozialdemokraten sein (Sechs Mandate) und, trotz Stimmenverlusten, auch das linke Bündnis SOL-PBP (Fünf Sitze) während die Labour Party erneut verlor und nur noch sechs Abgeordnete stellt. Die heterogene Gruppe der 21 unabhängigen Abgeordneten stellt nach wie vor einen wichtigen Machtfaktor und gleichzeitig ein lokales Ventil für Protest und Interessenvertretung dar. In der vergangenen Wahlperiode fanden sich einige von ihnen als »Independents4Change« zusammen, doch konnte sich von ihnen diesmal nur Joan Collins behaupten.
Vor den Wahlen hatten sowohl FG als auch FF jede Form einer Regierungszusammenarbeit mit SF ausgeschlossen. Diese Haltung, die die beiden konservativen Parteien seit langem pflegen, haben sowohl mit deutlichen Unterschieden in der Wirtschafts- und Sozialpolitik als auch mit der Ablehnung der historisch mit SF verflochtenen IRA (Irish Republican Army) zu tun. Nach den Wahlen wird diese Linie aufgeweicht werden, insbesondere bei FF.
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Eine historisch völlig neue »große« Koalition von FF und FG würde die Unterstützung von Grünen und einigen Unabhängigen erfordern und wäre zudem für beide Parteien eine ungeliebte Lösung. Eine SF-geführte Regierung würde nicht nur ungewöhnlich viele Parteien versammeln müssen, sondern auch mindestens 14 der 21 unabhängigen Abgeordneten zur Unterstützung benötigen. Sie wäre wahrscheinlich wenig stabil, da die Linke in Irland seit langem viele Ressentiments untereinander pflegt. Neben Neuwahlen, die bereits erwogen werden, bleibt eine Regierung von SF und FF, im Zusammenspiel etwa mit den Grünen, eine Option, die freilich beiden Parteien viel abverlangen würde und für SF das Risiko eines Glaubwürdigkeitsverlustes einschließt. Doch könnte die Perspektive von Mary Lou McDonald als womöglich erster Frau im Amt des Taoiseach (Premierminister*in) in Verbindung mit einer alten SF-Idee, über eine Regierungsbeteiligung sowohl in Dublin als auch in Belfast zur irischen Einigung zu gelangen, ein starker Anreiz sein. Und auch hierfür gilt ein Satz des früheren Labour-Vorsitzenden Pat Rabbitte: »Man mag in der Poesie kämpfen, aber man verhandelt immer in der Prosa.«
Die Autor*innen arbeiten für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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