- Politik
- Cécile Lecomte
Widerstand im Rollstuhl und am Kletterseil
Vollzeitaktivistin Cécile Lecomte wehrt sich vor Gericht gegen erneute Kriminalisierung ihres Anti-Atom-Protestes
An diesem Mittwoch wird vor dem Amtsgericht Lingen Ihr Widerspruch gegen einen Strafbefehl verhandelt. Worum geht es?
Um eine Protestaktion vor der Brennelementefabrik Lingen vor einem Jahr. Von hier wird die ganze Welt mit atomarem Brennstoff versorgt - trotz des 2011 von der Bundesregierung verkündeten Atomausstiegs. Die Staatsanwaltschaft wirft mir vor, in einer Fußgängerzone vor einem Polizeifahrzeug mit angezogener Rollstuhlbremse gestanden zu haben, als eine Demonstrantin festgenommen wurde. Ich wurde mit meinem Rollstuhl zur Seite getragen. Dieser Sachverhalt soll Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewesen sein. Eine Rollstuhlbremse ist in Lingen gefährlicher als ein Brand in der Uranfabrik, der Anlass für die Demo war.
Cécile Lecomte, geboren 1981 in Frankreich, wurde mit spektakulären Kletteraktionen gegen Atommülltransporte als »Eichhörnchen« bekannt. Wegen einer Erkrankung sitzt sie häufig im Rollstuhl. Auf einer Demo soll sie durch Anziehen von dessen Bremse Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet haben. Peter Nowak sprach mit ihr über ihr Engagement und den bevorstehenden Prozess.
Foto: Olivier Samain
Es ist nicht das erste Mal, dass Sie vor Gericht stehen. Wie oft wurden Sie schon verklagt?
Wenn man politisch aktiv ist, muss man sich oft gegen Vorwürfe wehren, die es ohne politischen Hintergrund gar nicht gäbe. Wie oft ich schon vor Gericht gestanden habe, kann ich nicht genau sagen. Aber ich habe viel Erfahrung. Viel Erfahrung habe ich auch mit rechtswidrigen Festnahmen und Überwachungsmaßnahmen. Dagegen habe ich immer wieder erfolgreich geklagt, manchmal bin ich bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen.
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Ich beschäftige mich viel mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, und zwar in der dritten Dimension. Die Polizei unterbindet gern das vertikale Demonstrieren, zum Beispiel auf Bäumen oder Brücken, mit einem »Kommen Sie da runter« und Handgreiflichkeiten. Dabei gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. Eine Demonstration muss nicht in Kubikmetern angemeldet werden! Ich habe Gerichtsentscheidungen erstritten, wonach »Typenfreiheit« besteht. Das Demonstrieren in Kletterseilen über einer Bahnanlage ist keine Straftat, auch wenn ein Atomtransport deshalb für Stunden zum Stehen kommt. Klettern ist eine effektive Möglichkeit, Widerstand zu leisten.
Sie sind durch Ihre Kletteraktionen gegen Atommülltransporte bundesweit bekannt geworden. Wie kam es, dass Sie Ihren Lehrerinnenberuf aufgegeben haben und Vollzeitaktivistin wurden?
Mein politisches Engagement war mit dem Beruf irgendwann nicht mehr vereinbar. Als ich noch Lehrerin war, wurde ich Wochen vor einem Castortransport von der Polizei heimlich überwacht. Das war illegal, wie auf meine Klage hin später festgestellt wurde. Aber eine solche Gerichtsentscheidung hilft nicht, wenn sie zwei Jahre später kommt.
Ich musste mich immer wieder gegenüber der Schulleitung für meine Aktionen rechtfertigen. Da habe ich mich schließlich für die politische Freiheit entschieden. Hinzu kam, dass es ein schwieriges Unterfangen war zu erklären, warum man sich in seiner Freizeit an einer Baumbesetzung beteiligen kann und zugleich ab und zu wegen einer rheumatischen Erkrankung krankgeschrieben ist.
Sie gehen sehr offen mit ihrer Erkrankung um. Wie sind die Reaktionen darauf in Ihrem politischen Umfeld?
Ich leide an rheumatoider Arthritis mit schwerem Verlauf. Ich denke, dass Behinderung kein Tabuthema sein darf. Ich verlange Inklusion, auch in politischen Bewegungen. Das ist gar nicht einfach zu vermitteln, dass man bei direkten Aktionen dabei sein will. Teilhabe scheitert oft schon an nicht barrierefreien Treffpunkten. Aber Stück für Stück gibt es ein Umdenken und den Willen, bei Unternehmungen Teilhabe zu ermöglichen. Bei den Aktionen von »Ende Gelände« gegen Kohletagebaue habe ich den inklusiven »bunten Finger« mitorganisiert und saß dann mit meinem Rollstuhl auf den Schienen.
Sie haben einen Wagenplatz, auf dem Sie längere Zeit lebten, verlassen, als sich Mitbewohner*innen nicht ausreichend nach rechts abgrenzten. Denken Sie, dass es auch in alternativen Kreisen einen Rechtsruck gibt?
Ja. Eine klare Abgrenzung nach rechts ist notwendig, auch wenn man denken könnte, das Projekt, an dem man beteiligt ist, sei per se links wie beispielsweise ein Wagenplatz. Dort fing es mit Esoterik und Verschwörungstheorie an, ich habe das zunächst nicht ernst genommen. Stück für Stück sind dann aber Menschen nach rechts abgedriftet.
Sie geben Ihre politischen Erfahrungen aktiv weiter. Wie sind Ihre Kontakte zu Jugendbewegungen wie Fridays for Future?
Ich begegne jungen Menschen vor allem, wenn ich Vorträge halte. Die junge Generation hat die Antiatomproteste der vergangenen Jahrzehnte nicht miterlebt. Ich finde es wichtig, Erfahrung und Wissen an sie weiterzugeben und freue mich, wenn das Angebot angenommen wird.
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