Werbung
  • Berlin
  • Besetzungen in Berlin

Der Traum vom Freiraum bleibt

Während die Polizei an der Rummelsburger Bucht Tatsachen schafft, gibt es die ersten Urteile gegen #besetzen

  • Marie Frank und Gwendolin Ott
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem besetzten Wagenplatz »Sabot Garden« an der Rummelsburger Bucht herrscht am Donnerstag helle Aufregung: Nachdem bereits am Mittwoch schweres Gerät zur Rodung des Geländes aufgefahren wurde und die Bewohner*innen eine Räumung befürchteten, war es am Donnerstagmittag soweit: Mit großem Polizeiaufgebot wurde das Baumhaus »Ätschibätsch« geräumt und die Menschen auf dem benachbarten Gelände über mehrere Stunden eingekesselt. Auch eine Reporterin des »nd« wurde von der Polizei festgehalten. Zwei Baumhaus-Besetzer*innen wurden festgenommen.

Als Grund für das Vorgehen nannte der Einsatzleiter der Polizei gegenüber »nd« eine Razzia wegen »versuchter gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz«. Demnach sollen Rauchbomben auf Arbeiter*innen der Rodungsfirma geworfen worden sein. Tatsächlich hatten Aktivist*innen am Donnerstagmorgen eine rosa Rauchbombe ins Gestrüpp gelegt, um den Arbeiter*innen, die mit den Rodungsarbeiten begonnen hatte, die Sicht zu erschweren. Eine Gefahr war jedoch zu keinem Zeitpunkt erkennbar.

Trotzdem löste der Vorfall einen äußerst brutalen Polizeieinsatz aus. Menschen wurden gewaltsam über den Boden gezogen, anderen wurden die Hände verdreht. Ein Aktivist berichtete dem »nd«, dass er von Polizist*innen von einem Hüttendach geschubst worden und mit mehreren Balken zu Boden gestürzt sei.

Die Brache unweit des Ostkreuzes war im Juni vergangenen Jahres von einer queer-feministischen Wagengruppe aus Protest gegen die Pläne des Bezirks, an der Rummelsburger Bucht unter anderem einen Aquapark, Büros und hochpreisige Wohnungen zu bauen, besetzt worden. Angesichts des nahenden Baubeginns wurden am Donnerstag erste Tatsachen geschaffen. Auch wenn die Polizei nach eigenen Angaben den besetzten Wagenplatz am Donnerstag nicht räumen will, dürfte dies nur eine Frage der Zeit sein.

Auch vor dem Landgericht Berlin ging es am Donnerstag um eine Besetzung. Die 25-jährige Transfrau Tabea H. soll Ende September letzten Jahres gemeinsam mit sieben weiteren Personen eine seit sieben Jahren leer stehende Fabrik in der Landsberger Allee 54 besetzt haben. Im Rahmen der »Tu-Mal-Wat«-Aktionstage, bei denen auch das Haus Frankfurter Allee 187 besetzt wurde (»nd« berichtete), wollten die Aktivist*innen einen Schutzraum für FLINT* (Frauen, Lesben, Inter, non-binary, Trans) und andere von Diskriminierung betroffene Gruppen schaffen.

Weil sich die Besetzer*innen bei der Räumung sitzend untergehakt hatten, wurde ihnen neben Hausfriedensbruch Widerstand in besonders schwerem Fall vorgeworfen, was mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft wird. Aufgrund der weitreichenden Folgen für Demonstrationen, bei denen Sitzblockaden keine Seltenheit sind, wurde das Urteil mit Spannung erwartet.

Die als Zeugen geladenen Polizisten berichteten, wie sie in das verbarrikadierte Haus eingedrungen waren und die Besetzer*innen im Dachgeschoss im Dunkeln vorgefunden hatten, »vermummt und leise singend«. Ihre Arme und Beine seien ineinander verhakt gewesen, zudem hätten sie sich bei der Festnahme »versteift« und »schwer gemacht«. Verletzt wurde allerdings niemand, und auch die Angeklagte konnten die Beamten nicht identifizieren.

Nach den Schilderungen der Polizisten konnte selbst der Staatsanwalt keinen schweren Fall von Widerstand mehr erkennen. Der Vorwurf war somit vom Tisch und auch der Hausfriedensbruch wurde nicht weiterverfolgt, stattdessen forderte die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 15 Euro für einfachen Widerstand. Dem folgte die Richterin dann auch. Die Besetzer*innen hätten sich individuell gegen ihre Festnahme gewehrt und daher nicht gemeinschaftlich gehandelt. Der besonders schwere Fall sei nicht gegeben, so die Richterin.

Tabea H. zeigte sich nach der Verhandlung erleichtert über das Urteil. »Mir ist vor allem wichtig, dass klar ist, dass eine Sitzblockade kein schwerer Fall von Widerstand ist«, sagte sie dem »nd«. Deswegen will Tabea H. auch keine Berufung gegen das Urteil einlegen, sondern die 750 Euro Strafe bezahlen. »Sitzblockaden sind Teil normaler Protestkultur. Dafür Haftstrafen zu verhängen wäre eine Kriminalisierung legitimen Protestes«, so die Studentin.

Für sie ist die Frage, ob es rechtens ist, ein seit Jahren leer stehendes Haus zu besetzen, während Menschen auf der Straße leben müssen, ohnehin nur »Theater«. FLINT*-Personen, die etwa wegen häuslicher Gewalt ihre Wohnung verlassen müssten, bliebe oft nur die Obdachlosigkeit. Mit der »Villa54« habe man daher einen transinklusiven Freiraum schaffen wollen, »einen Raum für Kultur, einen Raum für die Nachbarschaft«. »Dazu kam es aber nicht, weil wir dort rausgeprügelt wurden.«

Unterstützt wurde Tabea H. bei ihrem Prozess von Aktivist*innen von besetzen. In ihren Augen diente die Anklage als Feigenblatt für das unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei. »Der besonders schwere Widerstand wurde konstruiert, um die lange Untersuchungshaft zu legitimieren«, glaubt Kim Schmitz von besetzen. Nach der Festnahme der acht Besetzer*innen im September saß eine Person mehrere Wochen in Untersuchungshaft. Die Polizei sei damals sehr brutal gegen sie vorgegangen, berichtet Tabea H.: »Die Polizisten haben mich geschlagen und so lange auf mich eingetreten, bis meine Rippe gebrochen ist«, sagt sie. »Die waren voller Hass auf uns.«

Die Räumung auf dem besetzten Wagenplatz »Sabot Garden« ging da glimpflicher aus: Nachdem alle Personalien aufgenommen wurden, durften die Menschen nach einigen Stunden gehen - auch die Reporterin des »nd«. Die Aktivist*innen von besetzen erwarten derweil noch viele weitere Prozesse: Insgesamt 150 Anzeigen haben sich bislang angesammelt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -