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Aus dem Traum gerissen
Folge 152 der nd-Serie Ostkurve: Der Fußball-Drittligist Hallescher FC steckt in seiner tiefsten Krise seit Jahren.
Ismail Atalan trägt Schwarz, als er den Presseraum des Halleschen FC betritt. Der Fußballtrainer setzt sich und schaut konzentriert in die Runde, lenkt seinen Blick langsam von links nach rechts. Ist ja alles noch ungewohnt für ihn. Neue Umgebung, neue Gesichter. Er muss erst einmal alles aufsaugen. Atalan, der neue Trainer des Fußball-Drittligisten, weiß, vor welch schwieriger Aufgabe er nun steht, beziehungsweise sitzt. Vielleicht hat er sich genau deshalb für ein schwarzes Oberteil entschieden. Weil er damit die nötige Ruhe ausstrahlt, die der Hallesche FC gerade jetzt so dringend braucht.
Es ist Dienstag, 15 Uhr. Neben Atalan haben Vereinspräsident Jens Rauschenbach und Sportdirektor Ralf Heskamp Platz genommen. Man möchte fast sagen, sie sind vor lauter Erschöpfung in ihre Stühle gefallen, nach dieser anstrengenden Woche, die hinter ihnen liegt. Eine Woche voller Zweifel und Hoffnungen, voller Gespräche und Telefonate, an deren Ende alles ganz schnell ging.
Der Hallesche FC spielt eine recht sonderbare Saison. Sie begann zwar im Juli 2019 mit einem 0:1 in Uerdingen, doch danach ging es steil bergauf. Es folgten sechs Siege in sieben Spielen, sodass der mit Aufstiegsambitionen in die neue Spielzeit gestartete HFC nach dem 3:2 Mitte September in Ingolstadt tatsächlich an der Tabellenspitze stand.
Bis Anfang Dezember hielten sich die Hallenser in den Aufstiegsrängen, verlängerten sogar den Vertrag mit Trainer Torsten Ziegner. In den folgenden acht Spielen folgten dann aber sieben Niederlagen und ein Unentschieden. Halle stürzte auf Tabellenplatz 13 ab, entließ Ziegner und hat vor der Partie in Großaspach am Sonnabend nur noch drei Punkte Vorsprung vor dem ersten Abstiegsplatz. Die erhofften Aufstiegsränge sind schon zwölf Punkte entfernt und kaum mehr erreichbar. ok
Nach der 3:5-Niederlage am Sonntag gegen die SpVgg Unterhaching rief der Vorstand des HFC zur neuerlichen Krisensitzung. Diese endete nach mehreren intensiven Stunden mit der Entlassung von Trainer Torsten Ziegner. Dann, unverzüglich, der Anruf im westfälischen Lotte, wo Ismail Atalan gerade vor dem Fernseher schlief. »Ich wurde aus dem Tiefschlaf geweckt und musste mich dann entscheiden«, berichtet Atalan bei seiner Vorstellung am Dienstag.
Er entschied sich: für den HFC. Setzte sich am frühen Morgen ins Auto, brauste die 370 Kilometer über die Autobahn in Richtung Ostdeutschland. Am Dienstag war er da. Wahrscheinlich genauso erschöpft wie Rauschenbach und Heskamp.
Der Hallesche FC, dieser stolze ostdeutsche Traditionsverein, durchlebt gerade eine Phase, in der die Uhren deutlich schneller als gewöhnlich ticken. Noch im Dezember, als alles so aussah, als könne man auch in dieser Saison um den Aufstieg in die 2. Bundesliga mitspielen, hatte der Verein den Vertrag mit dem jetzigen Ex-Trainer Ziegner noch vorzeitig bis zum Jahr 2021 verlängert. Doch dann der plötzliche, völlig unerklärliche Bruch. Der HFC holte aus den letzten acht Spielen nur einen Punkt, kassierte dabei 26 Gegentore - und steckt auf einmal in der schlimmsten Krise der letzten Jahre. Vom Aufstiegs- zum Abstiegskandidaten innerhalb weniger Wochen. So schnell fährt der Fußball-Fahrstuhl selten.
Schon nach dem 1:6-Debakel vor knapp zwei Wochen bei der zweiten Mannschaft vom FC Bayern München stand Ziegner zur Debatte. Er überstand die erste Krisensitzung zwar schadlos, erhielt aber die Vorgabe, dass die Mannschaft beim nächsten Spiel gegen Unterhaching eine »entsprechende Leistung« zeigen müsse. Doch der HFC verlor erneut. Wenngleich die kämpferische Leistung diesmal stimmte, herrschte in der Abwehr einmal mehr totales Wirrwarr.
Den HFC-Bossen reichte es. Ziegner musste gehen - und nicht einmal 24 Stunden später war mit Atalan bereits ein Nachfolger gefunden. Die Botschaft ist klar: Keine Zeit verlieren! Die Stabilität, die den HFC unter Ziegner lange Zeit auszeichnete, soll nun schnellstmöglich wieder her. Atalans Plan: »Ich muss die Jungs nun erst einmal kennenlernen, Einzelgespräche führen.« Und dann, nach dem Kennenlernen: »Nicht lange überlegen, Ärmel hochkrempeln!« Denn der neue Trainer hat »große Hoffnungen und Erwartungen in die Mannschaft. Sie hat in den letzten Wochen gezeigt, wie charakterstark sie ist«.
Tatsächlich: Gewehrt hat sie sich, zumindest gegen Unterhaching. Bei den »kleinen Bayern« sah das noch anders aus, da ergaben sich die Hallenser ihrem Schicksal, weshalb manche Beobachter ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Ziegner und der Mannschaft vermuteten. Spieler Terrence Boyd, Torjäger und einer vom »Typ Anführer«, stellte aber sofort klar: »Wir haben den Trainer im Stich gelassen.« Der Abschied von Ziegner, das betont schließlich Präsident Rauschenbach, sei nicht leicht gefallen. Auch die Fans waren bis zum Schluss gespalten, viele hätten Ziegner gern gehalten.
Doch im Hintergrund glühten längst alle Drähte. Sportdirektor Heskamp gibt auf der Pressekonferenz einige Einblicke in das Innenleben des Vereins, lässt diese aufregende Woche Revue passieren: »Natürlich«, sagt er »gucke ich mir das ganze Jahr den Trainermarkt an. Schaue was passiert, wer interessant sein könnte.« Nach dem desolaten Bayern-Spiel habe man dann eine Liste mit fünf Kandidaten erstellt, die im weiteren Verlauf auf drei reduziert wurde. »Und dann haben wir Gespräche mit den drei Kandidaten geführt.« Geeinigt hat man sich am Ende auf Atalan.
Dieser hatte durchaus Bewerbungsvorteile. Denn mit »Isi«, wie Atalan schon vertraut von Rauschenbach und Heskamp genannt wird, hat der HFC bereits seit mehreren Jahren Kontakt. »Wir hatten ihn schon vor zwei Jahren auf dem Schirm«, sagt Rauschenbach. Damals hatte der erst 39-jährige Atalan, der damit drei Jahre jünger als Ziegner und noch ein Newcomer im Trainergeschäft ist, bereits Erfolge vorzuweisen. Mit den Sportfreunden Lotte hatte er den Aufstieg in die 3. Liga geschafft und ein Jahr danach die Klasse gehalten. Später war er dann beim Zweitligisten VfL Bochum gescheitert, galt aber in der Branche weiterhin als Trainertalent. »Wir haben uns die ganze Zeit mit seiner Entwicklung beschäftigt«, so Rauschenbach. Nun die verspätete Vereinigung. Der HFC und Atalan, das soll jetzt passen, und zwar ganz schnell.
Doch dann war da noch eine Hürde, die fix übersprungen werden musste. Atalan, der mittlerweile nach Lotte zurückgekehrt war, hatte bei den Westfalen noch einen laufenden Vertrag. Der HFC habe aber keine Ablösesumme zahlen müssen, so Heskamp: »›Isi‹ konnte dort raus.« In Halle erhält Atalan nun einen Vertrag bis 2021, der aber im Falle eines Abstiegs nicht für die Regionalliga gilt.
Bleibt noch offen, wie es mit Ex-Trainer Ziegner weitergeht. Auch der hat ja noch einen laufenden Vertrag. Der HFC hofft, dass die Mühlen in diesem Fall nicht langsamer mahlen. Das Trainerkarussell, auch das ostdeutsche, dreht sich schließlich anderswo ebenso flink. Das haben die Hallenser beim Erzfeind 1. FC Magdeburg verfolgen können, wo Claus-Dieter Wollitz, der wenige Tage zuvor noch Trainer von Energie Cottbus war, in ebensolcher Windeseile auf Stefan Krämer folgte.
So stehen die Chancen nicht schlecht, dass Ziegner bald einen neuen Verein findet und in Halle nicht mehr auf der Gehaltsliste steht.
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