Männer, die nicht verlieren können
Simone Schmollack über eine korrekte und folgerichtige Zurückweisung
Reden wir über Zurückweisung. Eine Erfahrung, die jede und jeder in seinem Leben schon mal gemacht hat, meist sogar mehrfach. Ein geliebter Mensch trennt sich; eine Kollegin bekommt den Job, auf den man sich selbst beworben hatte; ein Freund hat eine Theaterkarte übrig, die schenkt er aber jemandem, den man selbst nicht sonderlich gut leiden kann. So was passiert tagtäglich, das kommt vor, aber nach einer gewissen Zeit, die mal kürzer, mal länger dauern kann, hat man sich wieder eingekriegt.
Was aber, wenn jemand so gar nicht mit Zurückweisungen umgehen kann? Wenn er nie gelernt hat, Niederlagen einzustecken? Dann kann es dramatisch werden. Und dann kann es zu Amokläufen, Femiziden, Terrorangriffen kommen. So wie vor zwei Wochen in Hanau. So wie im Oktober in Halle. So wie vor einem Jahr in Christchurch in Neuseeland. Und so wie im April 2018 im kanadischen Toronto. So wie im kalifornischen Santa Barbara 2014. So wie in ..., die Liste lässt sich fortsetzen.
Die Attentäter in Halle, Christchurch, Toronto, Santa Barbara und auch der mutmaßliche Täter in Hanau sind Männer, denen einerseits eine gestörte Persönlichkeit zugeschrieben wird. Aber ebenso ein handfestes rechtsradikales, fremdenfeindliches, misogynes Denken. Bezogen auf Zurückweisungen lässt sich sagen: Diese Männer können scheinbar nicht damit umgehen, etwas nicht zu bekommen, was sie gerne hätten; abgelehnt zu werden, obwohl sie es doch anders »verdient« hätten.
Die Psychologie kennt dafür einen Fachbegriff: Rejection Sensitivity. Im Deutschen würde man das am ehesten mit Zurückweisungsempfindlichkeit übersetzen. Betroffene fürchten ständig, zurückgesetzt zu werden und erkennen in allen Aktionen und Reaktionen von Mitmenschen Ablehnung, Ausgrenzung, Missachtung. Selbst in Situationen, in denen es gar nicht um sie geht. Manche denken dann: Die reden hinterm Rücken über mich. Dieser Tweet meint mich. Die sind alle gegen mich.
Manche wollen sich dafür rächen. Andere - und das ist die aggressivste, unmenschlichste, perfideste Form - morden. Auffällig an den oben genannten Taten ist die von den Männern erlebte Zurückweisung, gepaart mit einer tiefen Frauenverachtung. Der Amokläufer an der Universität in Santa Barbara, der mehrere Menschen erstochen, erschossen und verletzt hat, hinterließ eine Videobotschaft. Darin sagt er sinngemäß: Ich bin 22 Jahre alt und habe noch nie eine Frau geküsst. Die sind schuld daran, dass ich so elendig leben muss.
Auch die Täter von Halle und Toronto begründen ihre Gräueltaten damit, nicht bei den Frauen landen zu können. Der mutmaßliche Schütze von Hanau offenbart ebenfalls ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Man nennt sie Incels, das Kürzel für »involuntarily celibate«, zu deutsch: unfreiwillig zölibatär. Das Problem sind natürlich nicht die Frauen. Das Problem ist noch immer diese Form von Männlichkeit, die heute als toxisch bezeichnet wird: abwertend, ausgrenzend, missachtend. Gegenüber allen, die sich ihnen in den Weg stellen.
Diese toxische Männlichkeit hat auch das Internetportal WikiMANNia zur Genüge bedient. Das auf Misogynie, Ausgrenzung und Zurückweisung setzende Wiki beschreibt sich selbst als »Wissens-Datenbank über Benachteiligungen von Jungen und Männern«. Es »verzichtet auf einen neutralen Standpunkt« und »ist die Antithese zur feministischen Opfer- und Hassideologie«. So viel zum Selbstbild. Jetzt hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien die Plattform als jugendgefährdend eingestuft. Top! Die lange und detaillierte Begründung lässt sich so zusammenfassen: »Der Inhalt des Angebots diskriminiert Frauen, Homosexuelle und Asylsuchende.«
WikiMANNia muss also eine Niederlage einstecken. Eine Zurückweisung, die in diesem Fall nur folgerichtig und absolut korrekt ist.
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