Ungarische Sondersteuern für Konzerne sind zulässig
Urteil des Europäischen Gerichtshofes stärkt die Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte am Dienstag die »unorthodoxen Wirtschaftsmaßnahmen« der ungarischen Regierung für vereinbar mit dem gesetzlichen Rahmen der EU, und damit für zulässig. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Sondersteuern, die vor einigen Jahren eingeführt wurden.
Vor allem bei wirtschaftsliberal geprägten Kommentatoren waren sie auf Kritik gestoßen, auch die EU-Kommission versuchte mehrmals, in dieser Sache Druck auf die ungarische Regierung auszuüben. Betroffen waren (oder sind noch) nur bestimmte Wirtschaftszweige, etwa die Werbe-, die Telekombranche oder der Einzelhandel. Die Konzerne Google und Vodafone, und die britische Supermarktkette Tesco hatten dagegen geklagt, und gingen nun leer aus.
Bereits 2010 hatte die Orbán-Regierung Sondersteuern auf die Einnahmen von Banken, Telekom-, Energie- und Einzelhandelsunternehmen eingeführt, um den durch die Wirtschaftskrise strapazierten Haushalt sanieren zu können. Damals betonte der offizielle Diskurs häufig, dass insbesondere in diesen Branchen die wichtigsten Akteure auf dem ungarischen Markt fest in westeuropäischer Hand sind. Tatsächlich dominieren österreichische, deutsche, französische oder britische Konzerne bis heute diese Wirtschaftssektoren, und zwar nicht nur in Ungarn, sondern überall in Mittelost- und Südosteuropa. Als die Folgen der Krise um 2015 überwunden wurden, verzichtete Orbán zum Teil auf die Sondersteuern: So werden aktuell etwa Supermarktketten und Telekomfirmen nicht mehr an die Kasse gebeten, Banken aber doch.
Die Werbesteuer wurde 2014 eingeführt, ursprünglich sah das Gesetz Steuersätze von bis zu 50 Prozent auf alle Umsätze aus der Schaltung von Werbung in Ungarn, und zwar unabhängig davon, ob die betroffenen Unternehmen ihren Sitz im Land selbst oder im Ausland haben. Hintergrund war unter anderem ein andauernder Konflikt zwischen Orbán und der privaten Mediengruppe RTL (Bertelsmann), deren ungarischer Sender als regierungskritisch galt. Beabsichtigt war aber gleichzeitig auch eine Besteuerung jener Einnahmen, die nach Ansicht der Regierung digitale Konzerne wie Google oder Facebook in Ungarn generieren, ohne hier überhaupt registriert zu sein.
Auf Druck der EU-Kommission, die in diesem Fall vor allem die Progression als wettbewerbsverletzend einstufte, wurde zwar das Gesetz mittlerweile mehrmals abgemildert, Ausnahmen für geringere Umsätze blieben jedoch bestehen. Das heutige Urteil des EuGH ist insofern nicht nur für Google, sondern auch für die EU-Kommission, insbesondere für Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager eine Niederlage.
Die Frage der Besteuerung von digitalen Dienstleistungen ist weltweit ungeklärt. Alleingänge einzelner Nationalstaaten endeten allerdings bisher häufig mit kostspieligen Niederlagen vor internationalen Gerichten.
Die Bilanz der »unorthodoxen Maßnahmen« der Orbán-Regierung ist diskutabel. Denn die Konzerne gaben die Sonderkosten selbstverständlich an ihre Kunden weiter, mit dem Ergebnis, dass die Ungar*innen für ihre Telefon- oder Stromrechnungen mehr zahlen mussten, und Kredite teurer wurden. Dementsprechend stagnierte lange der Konsum, zumal auch der Mehrwertsteuersatz mit 27 Prozent der höchste in der EU ist.
Während der Staat die Verbraucher*innen so bestraft, müssen Unternehmen, die in anderen Sektoren tätig sind, lediglich neun Prozent ihrer Profite abgeben: Das ist EU-weit einer der niedrigsten Unternehmenssteuersätze, und Ungarn gilt heute tatsächlich als wahres Paradies für Konzerne, die sich auf Produktion konzentrieren.
Diese Steuerpolitik trägt indirekt auch zu einer Verstärkung der ohnehin sehr ausgeprägten Abhängigkeit der ungarischen Wirtschaft von Exporten, und damit auch von exportorientierten Unternehmen, die eben nicht mit Sondersteuern belegt wurden. Das sind aber vor allem ungarische Niederlassungen von Zulieferern der deutschen Autoindustrie, oder Vertreter dieser Industrie selbst.
Die Tatsache, dass Viktor Orbán diese Branche bisher immer konsequent schonte, könnte als eine Art systematische Bevorzugung der Industrie gegenüber dem Dienstleistungssektor interpretiert werden. Diese Präferenz gehört schließlich auch in Deutschland zur Tradition, und wird selten hinterfragt.
Wahrscheinlicher ist aber, dass es sich dabei auch um eine gute Dosis politischen Kalküls handelt: Ein Konflikt mit der deutschen Industrie könnte für die Fidesz viel gravierendere Folgen haben, und die ohnehin schwer zu erklärende Toleranz der CDU gegenüber der rechtspopulistischen Parteikollegen aus Ungarn könnte dann doch plötzlich aufhören.
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