Auf dem Bierdeckel zurück zur Atomkraft

KLIMA UND WANDEL: Auch in Sachen Klima und Energie ist Friedrich Merz ein Türöffner in Richtung künftiger Koalitionen mit der AfD

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Welt von Friedrich Merz passt bekanntermaßen auf einen Bierdeckel. Wenn der Multimillionär, der gerne Kanzler sein will, über die Fragen der Zukunft redet, redet er erstmal sehr viel über sich. Seine politische Erzählung stammt aus dem Kalten Krieg: Die Welt ist ein Kampf zwischen Gut und Böse. Auf der guten Seite des Bierdeckels die freie Welt mit Europa und die USA samt seinen Verbündeten. Und natürlich Merz, stolzer Chef der Atlantikbrücke-Trump-Kuschelgruppe. Auf der schmutzigen Unterseite des Bierdeckels die unfreie Welt mit China, Indien und Russland. Und natürlich alle anderen, die nicht zum Lager des erklärten Merkel-Gegners gehören. Das Merzsche Bedrohungsszenario wischt bewusst die globalen Verflechtungen des internationalen Kapitals vom Tisch, bläst die »gelbe Gefahr« auf, schafft ein Feindbild: Es sind die fremden Konkurrenten, die niedergerungen werden müssen. Oder sie ringen »uns« nieder, erobern »uns«, nehmen »uns« was weg, so die Gutes-Kapital-Böses-Kapital-Welt vom Vizepräsidenten des ultra-neoliberalen Wirtschaftsrates der CDU.

Es ist nicht nur diese Angstmache vor der feindlichen Übernahme durch die unfreie Welt, die Merz in Richtung der AfD rückt, die ganz offen vor »Umvolkung«, vor »Islamisierung«, vor »Kulturverlust« warnt. Es ist die Frontstellung, die aufgemacht wird. Für Merz, der in Sachen paritätischer Wahllisten mit dem Kommentar »Männer-Diskriminierung« erneut seine Stammtischfähigkeit unter Beweis stellte, sind die »eigentlichen Themen, die die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder bestimmen« nicht Klimakrise, nicht Krieg und Frieden, nicht gute Arbeit, nicht gute Renten und Löhne für die Mehrheit, nicht bezahlbare Mieten. »Schaffen wir es, unsere offene und freie Gesellschaft gegen den Druck von außen, gegen die Gegner von innen, so standhaft zu verteidigen, dass wir sie erhalten?«, malt der Multimillionär mit martialischem Duktus das Schreckgespenst eines Angriffs von allen Seiten auf »eines der schönsten, erfolgreichsten und besten Länder der Welt« an die Wand. Und schiebt süffisant nach, es sei ja kein Wunder sei, dass alle Flüchtlinge in dieses reiche Deutschland wollen.

Es ist Strategie, dass der Möchtegern-Trump Merz in provozierender Ausdauer mit altbekannten Imaginationen, Feindbildern und Mythen der radikalen Rechten spielt, immer scharf am Rand des Sagbaren. Auch in Sachen Klima und Energie ist der Abtreibungsgegner ein Türöffner in Richtung künftiger Koalitionen mit den blauen Faschisten. Wie die AfD findet Merz den Klimawandel nicht so richtig schlimm. Wie die AfD streut Merz Zweifel, ob der Klimawandel »maßgeblich« menschengemacht sei. Wie die AfD greift Merz das Gesicht der Klimaschutzbewegung, Greta Thunberg an. Wie die AfD verteufelt Merz die Energiewende. Wie die AfD macht Merz die Erneuerbaren Energien für gestiegene Strompreise verantwortlich. Wie die AfD warnt Merz vor Energieknappheit und Deindustralisierung. »Deutschland steigt gleichzeitig aus der Kernenergie und aus der Braunkohle und der Steinkohle aus. Diese Energiewende gleicht für mich einer Operation am offenen Herzen - ohne Narkose«, wird im vollsten AfD-Diskurs biologistisch auf den drohenden »Volkstod« durch Blackout angespielt.

Merz wäre nicht Merz, hätte er keine Lösung im Aktenkoffer. Sein einstiger Arbeitgeber, weltweit größter Finanzier für Kohle, Gas und Öl, kündigte jüngst an, seine Kohleindustrie-Anteile zu verkaufen (Natürlich kein Wort darüber, dass sich die Kohlegeschäfte wegen der erfolgreichen Energiewende einfach nicht mehr lohnen). Künftig werde man Unternehmen abstrafen, die in klimaschädliche Vorhaben investieren. BlackRock sieht die Zukunft jedoch nicht in Windkraft und Solaranlagen. Die Geldmacher verkaufen Atomkraft als klimafreundliche Energien zur Weltenrettung. Auch Merz gibt die Sprechpuppe für die Atomindustrie, zuletzt beim »Wirtschaftstag Sachsen 2019«: »Sonne, Wind und Gas garantieren nicht die Energieversorgung eines Landes wie der Bundesrepublik Deutschland, wenn es denn Industrieland bleiben will«. Nur »inhärent sichere Kernfusion« sei in der Lage »dauerhaft Energie zu erzeugen«.

Dass zwischen Merz und AfD auch bei Energie und Klima kein Blatt passt, zeigt die Reaktion auf ein kürzlich erschienenes Pro-Atomkraft-Papier des CDU-Bundesfachausschusses Wirtschaft, Arbeitsplätze und Steuern: »Wir setzen uns dafür ein, dass sich Deutschland stärker in das von Euratom durchgeführte Programm 'Horizont' zur Zukunft der Kernenergie einbringt«. Projekte zur »Kernfusion und zu kleinen modularen Reaktoren« sollten »ergebnisoffen« geprüft werden, »als mögliche Variante für eine CO2-freie Energieproduktion«. AfD-Chef-Hetzerin Beatrix von Storch stößt ins selbe Horn: In Zukunft werde »nach dem völlig verantwortungslosen Kohleausstieg auch die Energieversorgung in Deutschland nicht mehr zu jeder Zeit gesichert sein«. Die AfD stehe für »einen vernünftigen Energiemix«, der sowohl »die Kosten als auch die Energiesicherheit im Blick« habe. Und weiter: »Wenn jetzt Wirtschaftsexperten aus der CDU mit dem Atomausstieg einen zentralen Baustein von Merkels Klima-Energie-Populismus in Frage stellen, stellen sie - mit diesem Akt der Vernunft - die Kanzlerin selbst und deren gesamte unsinnige, schädliche Greta-Politik in Frage.« Merz hätte es nicht besser formulieren können. AfD und Merz sind zwei Seiten desselben Bierdeckels.

Der Autor ist Energie- und Klimapolitiker der Linken im Bundestag.

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