Feminismus heißt Rückgrat haben

Was hat sich in der Frauenbewegung verändert, was ist gleich geblieben? Ein Gespräch mit vier Vorkämpferinnen

  • Lotte Laloire und Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 15 Min.

Sie sind schon lange feministisch aktiv, was hat sich über die Jahre verändert?
Erica Fischer: Als wir in den 70ern in Wien von unserem Frauenplenum ins Gasthaus gegangen sind, waren da nur Männer. Wie wir angeschaut wurden! »Jööö, so viele Weiba!« Es war unerhört, dass Frauen miteinander in die Kneipe gehen. Damals gab es keine Angela Merkel. Wir waren eine Bewegung von unten, die Unbehagen ausgedrückt hat: sowohl über die individuellen als auch über die gesellschaftlichen Beziehungen. Und dadurch ist eine Menge entstanden: neue Gesetze, kulturelle Veränderungen. Parallel haben die Männer sich irgendwie mit entwickelt - und die Politik. Ich sehe das immer als größeres Ganzes. Heute haben wir für Frauen jedenfalls eine Lage, die sich massiv unterscheidet von der in den 70er Jahren. Auch in den Kneipen sind heutzutage mehr Frauen - und Frauen kommunizieren unheimlich viel. Das ist irrelevant, könnte man sagen. Doch man darf nie vergessen: Die Frauenfrage und dieses Unbehagen pflanzen sich auch über einzelne Gespräche weiter.

Katharina Oguntoye: Noch zur Zeit meiner Mutter, in den 60er Jahren, da war man mit 30 als Frau fertig. Da galtest du nicht mehr als gebärfähig, standest außerhalb der Gesellschaft. Wir haben erkämpft, dass wir als Personen gelten, auch im Alter von 40, 50 und älter. Dabei waren für uns in den 80er Jahren die Straße und die Gruppe unglaublich wichtig. Wir hatten ja anfangs null Netzwerke. Ein Mann musste nichts machen, das ist nicht seine Schuld, aber der wurde eben in ein System geboren, in dem er von einem zum anderen weitergereicht und überall unterstützt wurde. Wir Frauen hatten das nicht. Wir erzeugten das durch die Masse. Was mir heute fehlt, sind die Diskussionen, die wir damals hatten, Versammlungen mit 300 Frauen oder mehr. Da wurden gemeinsam Erkenntnisse erarbeitet, die dann auch galten und die funktionierten. Weil sie stimmten.

Sieben Frauen

Erica Fischer, Janine Wissler, Katharina Oguntoye und Carolyn Gammon setzen sich seit Jahren auf unterschiedliche Weise für den Feminismus ein. Entsprechend lebhaft ging es beim Treffen im nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz in Berlin zu.

Die Redakteurinnen Lotte Laloire und Katharina Schwirkus sprachen mit ihnen über Unterschiede zwischen früher und heute, offene Baustellen, die richtigen Strategien und darüber, was von dem Begriff »alter weißer Mann« zu halten ist.

Das dreistündige Gespräch transkribierte Angela Wichmann.

Sind junge Feministinnen einzelkämpferischer drauf als Sie damals?
Carolyn Gammon: Die Medien picken sich eben immer die Stars heraus. Aber wenn die Stars ehrlich sind, werden die schon von den Kollektiven reden, die hinter ihnen stehen.

Oguntoye: Ich nehme schon wahr, dass die Jungen zusammenarbeiten, zum Beispiel das Frauenkneipenkollektiv Café Cralle in Berlin-Wedding oder die vielen Bündnisse bei Demonstrationen.

Janine Wissler: Wie es in den 80ern war, kann ich nicht aus eigenem Erleben beurteilen, aber aktuell habe ich den Eindruck, dass sich die Frauenbewegung neu formiert oder wieder formiert, ganz weg war sie ja nie. Jedenfalls waren am letzten Frauentag in Chile oder Spanien Millionen Menschen auf der Straße, das ist doch großartig! Besonders wichtig finde ich, dass Kämpfe gegen verschiedene Unterdrückungsformen zusammengebracht werden, wie in den USA beim Women’s March und Black Lives Matter, wo es um Sexismus und Rassismus geht.

Fischer: Das ist einer der Gründe, weshalb ich »Feminismus Revisited« geschrieben habe. Ich wollte zeigen: Die Frauenbewegung war nicht nach den 80er Jahren mit Alice Schwarzer beendet. Es gibt heute junge Frauen, die Feministinnen sind - die auch denken können. Sie nehmen nicht nur Geschlechterverhältnisse, sondern auch Rassismus und kapitalistische Ausbeutung in den Blick. Mit den jungen Frauen über all das zu sprechen, hat mich belebt wie eine Reise. Im Laufe der Arbeit an dem Buch bin ich immer glücklicher geworden.

Viele sind sehr engagiert. In Deutschland gehen aber nicht wie andernorts Massen für Feminismus auf die Straße. Warum nicht?
Gammon: In anderen Ländern, in denen die Femizide so hoch sind, kämpfen Frauen um ihr Leben.

Fischer: Bei uns werden nicht täglich mehrere Frauen ermordet wie in Mexiko.

Hier passiert das »nur« alle drei Tage.
Oguntoye: Hier wurde eben schon viel erreicht. Zum Beispiel gibt es für Frauen, die bedroht sind oder geschlagen wurden, ein Hilfesystem, wir haben Frauenhäuser.

Wissler: Die Frauenbewegung hat hierzulande viel erreicht, aber es gibt noch immer viele Ungerechtigkeiten. Dass in Deutschland keine Massen auf die Straße gehen, liegt unter anderem an dem Missverständnis, wir hätten schon alles geschafft. Viele Menschen sagen: »Frauen und Männer sind doch gleichberechtigt.« Natürlich, auf dem Papier kann eine Frau in Deutschland alles machen, was Männer auch machen können. Die Gründe für Ungleichheit sind heute weniger sichtbar. Frauen stoßen oft an die sogenannte gläserne Decke.

Fischer: Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass der Feminismus heutzutage von woanders kommt, Europa ist nicht mehr die Avantgarde. Auch früher gab es außerhalb von Europa feministische Bewegungen, aber wir haben sie nicht wahrgenommen, leider. Heutzutage kommt das dank der Globalisierung und Social Media alles zu uns.

Soziale Medien erleichtern den Austausch: Marginalisierte Stimmen können sich erheben, wie #MeToo und #MeTwo gezeigt haben. Zugleich bietet das Netz dem Hass eine Plattform. Ist es Fluch oder Segen?
Wissler: Der Hass kommt nicht aus dem Internet in die Gesellschaft, sondern aus der Gesellschaft ins Internet. Der Unterschied ist: Früher wurde der rassistische oder der sexistische Spruch in der Kneipe gesagt, wo es fünf Leute gehört haben - durch das Netz ist die Verbreitung natürlich viel größer.

Das gilt auch für extrem rechte Ideologie, die Leute zu Terroranschlägen anstachelt. Gerade erst wurden in Hanau zehn Menschen ermordet. Der Täter war Rassist und hasste auch Frauen.
Gammon: Da muss ich an die Incels denken. Das ist diese nordamerikanische Internetsubkultur aus heterosexuellen, meist weißen Männern, die sagen, dass sie unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr hätten. Angesichts dessen ist es höchste Zeit, dass die Gesellschaft Männern klarmacht: Euch gehört nicht alles, Gewalt ist nicht männlich und okay. Wir sollten unseren Söhnen beibringen, mehr Gefühle auszudrücken, statt Überwachung und Polizeipräsenz auszuweiten, das ist die letzte Stufe der Verteidigung. Es muss sich von Grund auf etwas ändern.

Auch vor dem Zeitalter des Internets gab es Hass. Wie haben Sie als Feministinnen das vor 30, 40 Jahren erlebt?
Gammon: Der Hass hat durch das Internet eine Metamorphose durchgemacht, aber er war immer da. Auch Massaker gab es schon früher. Am 6. Dezember 1989 - vielleicht erinnern sich einige - kam in Montreal ein Mann in einen Hörsaal, hat die Frauen von den Männern getrennt und alle Frauen niedergeschossen. 14 Frauen. Ermordet. An einem Tag. Ich hatte Glück, weil ich an diesem Tag nicht dort war. Aber das war sehr schlimm für uns alle. Danach hat man uns gesagt: »Verhaltet euch unauffällig!« Wir haben genau das Gegenteil getan. Wir sind mit den größten feministischen Plakaten händchenhaltend auf die Straße gegangen. Eher würde ich mir eine Zielscheibe auf den Rücken schnallen, als meine Wut oder Trauer je zu verbergen.

Oguntoye: Du musst den Hass aushalten. Ich erkläre Ihnen mal was: Ich war lesbisch, und das hat mir keiner gesagt, ich habe es als Letzte erfahren. Lesbisch zu leben oder feministisch aktiv zu sein - du triffst Entscheidungen, die du selbst verantworten musst. Dafür brauchst du Rückgrat. Und es war ja nicht nur Hass. Für einige verschwand das ganze Leben: die Möglichkeit, eine Karriere zu machen, ein normales bürgerliches Leben zu führen - all das war weg. Dafür öffnete sich diese wunderbare Bewegung, in der wir uns austauschen konnten. Das war ein Geschenk, das du für deinen Kampf bekommen hast.

Lassen Sie uns als Nächstes darüber sprechen, was für Feminismus noch zu tun ist, zum Beispiel mit Blick auf die immer noch sehr ungleich verteilte Care-Arbeit.
Wissler: Wir brauchen andere gesellschaftliche Angebote, wie die Ganztagsschule, wie Kinderbetreuung - all das entlastet Frauen.

»Angebote«? Das klingt nach FDP und dem Motto »Der Markt regelt das schon«. Braucht es an einem gewissen Punkt vielleicht auch Zwang, damit sich etwas ändert?
Wissler: Ich meinte damit, wir sollten Probleme nicht individuell klären müssen, sondern es sollte gesellschaftliche Lösungen geben. Wir müssen an die Strukturen ran. Wenn es zum Beispiel mehr Ganztagsschulen mit Kantinen gäbe, müssten nicht Millionen Menschen, meist eben die Frauen, jeden Mittag zu Hause kochen.

Oguntoye: In Afrika geht das auch anders. Da geht eine Frau in England studieren, und andere Frauen passen auf die Kinder auf.

Gammon: Nee, die Kinderbetreuung sollte nicht wieder an Frauen hängen bleiben! Aber mir gefällt der internationale Blick. Zum Beispiel früher in den Kibbuzim in Israel: Da verbrachten die Kinder keine einzige Nacht mit ihren Eltern. Noch am Tag ihrer Geburt wurden sie in die Krippe gebracht und dann kollektiv aufgezogen, wie bei meiner israelischen Freundin. Die Kinder haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Dass ein Elternteil den ganzen Tag eins zu eins mit dem Kind zu Hause herumsitzt, ist nichts.

Wir müssen also die Forderungen der Frauenbewegung umsetzen und die bürgerliche Kleinfamilie sprengen.
Gammon: Ganz genau.

Keiner dieser Vorschläge dürfte mit den aktuellen politischen Mehrheiten flächendeckend umgesetzt werden. Welche Strategien schlagen Sie vor, damit sich etwas »an den Strukturen« und »von Grund auf« ändert, wie Frau Wissler und Frau Gammon es nennen?
Fischer: Es gab im Feminismus nie eine Strategie. Das ist ja keine Partei, die nach Macht strebt, sondern eine Bewegung von unten, die die gesamte Gesellschaft erfasst.

Oguntoye: Manche streben nach Macht und kriegen sie auch. Aber die sind irgendwann isoliert, nicht mehr Teil der Bewegung. Für mich ist Feminismus immer subversiv: Es geht darum, Machtverhältnisse auszuhebeln.

Sollten Frauen und LGBTIQ* nicht mehr Macht haben, zum Beispiel durch Quoten?
Fischer: Ja. Aber man darf die Quote nicht überbewerten. Weil Frauen in den höheren Etagen auch bloß die Chance bekommen, gleichberechtigt mit den Männern andere Frauen auszubeuten. Trotzdem ist es eine Frage der Gerechtigkeit.

Gammon: Ich bin eine absolute Quoten-Befürworterin. 1983 war ich sogar selbst eine »Quotenfrau« und fand das klasse. Ich habe in Kanada als allererste Frau beim Vorläufer von Boeing, McDonell Douglas, also einer riesigen Flugzeugfirma, gearbeitet. Die Damentoilette war zehn Minuten von meinem Arbeitsplatz entfernt. Das war toll, da konnte ich jedes Mal eine halbe Stunde Pause machen, um aufs Klo zu gehen. Vorher hatte ich Albträume, weil ich zehn verschiedene Sägen bedienen sollte, aber das war kinderleicht. Da habe ich gemerkt: Oh, mein Gott, es wird viel zu hoch gehängt, was die Männer machen. Und das war mit elf Dollar die Stunde der bestbezahlte Fabrikjob, den es damals gab. Ja, ich finde, dass wir durch Zwang und durch Quoten dafür sorgen sollten, dass auch Frauen gut bezahlte Jobs bekommen.

Oguntoye: Pfff, vergiss es! Eine Quote wird nichts ändern an den Seilschaften der Männer. Und diese arme Frau, die dann da oben an der Spitze steht. Weißt du, was das heißt, da alleine zu sein?! Also ich würde mir dreimal überlegen, ob ich das will. Wenn wir das Rezept von Merkel wüssten, wie sie das schafft, die alle in Schach zu halten. Das ist ja die Einzige, die das wirklich hinkriegt.

Frau Wissler, wie halten Sie denn die Männer in der Linkspartei in Schach?
Wissler: (lacht lauthals) Bei uns im Vorstand der Partei ist ja alles quotiert.

Fischer: Da hat die Quote etwas gebracht.

Wissler: Trotzdem ist auch bei der Linkspartei nicht alles perfekt. In den Ortsvereinen und Kreisverbänden entspricht der Frauenanteil leider nicht dem in der Bevölkerung, dort sind wie bei allen Parteien mehr Männer als Frauen aktiv. Ich bin eine Befürworterin der Quote, in Parlamenten und auch bei Aufsichtsräten. Das wäre nur nicht meine entscheidende Forderung. Denn der Frau, die in Altersarmut lebt, oder der Grundschullehrerin, die weniger verdient als der Gymnasiallehrer, bringen solche Quoten nichts.

Welche Rolle spielten Männer im Feminismus früher, welche spielen sie heute? Was ist besser: Angreifen oder Umarmen?
Oguntoye: Ich bin radikal lesbisch und feministisch, das war mir immer superwichtig. Ja, es war nötig, Männer zu konfrontieren. Aber mir war immer klar, dass ich niemanden verletze - keinen Menschen.

Fischer: Das ist eine total antiquierte Frage! Umarmen wollen wir die sowieso nicht. (lacht) In den 70ern und auch Anfang der 80er war es notwendig, zu den Männern auf Konfrontation zu gehen. Die haben ja überhaupt nicht kapiert, was wir eigentlich wollen. Die hatten keine Ahnung. Man musste ihnen alles erklären: was es bedeutet, als Frau in der Nacht über die Straße zu laufen und Schritte hinter sich zu hören. Heute sind wir woanders. Mich treibt mittlerweile mehr die Verbindung von Rassismus und Frauenfeindlichkeit um. Für einen dunkelhäutigen Mann, der rassistisch angegriffen wird, würde ich mich jederzeit ins Getümmel werfen. Da unterscheide ich nicht mehr. Aber die Bezeichnung »alter weißer Mann« finde ich okay. Die muss nach wie vor verwendet werden, weil sie stimmt.

Viele - auch Frauen - kritisieren den Begriff »alter weißer Mann«. Er rufe sofort Abwehrreflexe hervor und stoße Leute eher vom Feminismus weg, statt sie dafür zu gewinnen, finden sie.
Fischer: Da kann man nichts machen. Man hat uns immer vorgeworfen, dass wir zu radikal sind. Aber ohne Dinge klar und pointiert auf den Punkt zu bringen, kann man nichts vermitteln. Heute ist doch das, was damals als radikal galt, längst Mainstream.

Gammon: Klar, weiße Leute hassen es, »weiß« genannt zu werden. Genauso hassen es Männer, daran erinnert zu werden, dass sie privilegiert sind. Und wenn man die drei Begriffe dann auch noch zusammenbringt, hat man einen Haufen Privilegien auf einmal. Sie als Journalistinnen will ich dazu ermutigen, die Formulierung hin und wieder zu verwenden. Wenn sich jemand beschwert, fragen Sie die alten weißen Männer doch mal nach ihren Rentenaussichten.

Zuspitzung kann helfen. Sie kann zugleich Unterschiede verschleiern. Zum Beispiel zwischen einem alten weißen Mann in Ost- und einem alten weißen Mann in Westdeutschland, um mal bei den Renten zu bleiben.
Wissler: Ich verwende den Begriff nicht. Nicht jeder Mann ist Teil des Problems, und nicht jede Frau ist Teil der Lösung - siehe erzreaktionäre AfD-Frauen wie Beatrix von Storch oder die ehemalige englische Premierministerin Margaret Thatcher, die für Frauenrechte ja mal gar nichts getan hat. Man muss natürlich darauf hinweisen, dass ein Mann ohne Rassismuserfahrung gewisse Stigmatisierungen nicht kennt. Aber in einer Klassengesellschaft sind nicht alle Männer die großen Profiteure. Auch bei ihnen gibt es Alters- und Erwerbsarmut, obwohl ihre Rentenaussichten im Durchschnitt besser sind als die von Frauen. Viele Männer sind übrigens potenzielle Mitkämpfer. Betrachten wir nur einmal Bernie Sanders und Donald Trump - beides »alte weiße Männer«. An ihnen sieht man: Diese Kategorisierung bringt uns nicht weiter.

Fischer: Da bringen Sie ein sehr gutes Beispiel, denn es gibt so viele tolle nicht weiße und jüngere Frauen in der Demokratischen Partei. Die wären eine Option gewesen. Für sie hätte Bernie Sanders zurückstecken müssen. Aber egal. Jetzt hat er Erfolg, und wir freuen uns alle für ihn.

Erica Fischer ist Autorin und hat die Frauenbewegung in Österreich mit gegründet. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch »Feminismus Revisited«. Ihr größter beruflicher Erfolg war 1998 »Aimée & Jaguar«. Der Roman erzählt die Liebesgeschichte zweier Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus. Fischer selbst wurde 1943 in England geboren, wohin ihre Eltern nach dem »Anschluss« Österreichs an Nazi-Deutschland geflohen waren. 1948 gingen sie zurück, doch in den 80ern hatte Fischer keine Lust mehr auf Österreich und kam nach Berlin. Die Anfrage für dieses Interview bestätigte die 77-Jährige binnen fünf Minuten per E-Mail. Ob es eine Feministin gibt, bei der sie sich entschuldigen sollte? »Ja. Bei einer Freundin, mit deren Liebhaber ich mal geschlafen habe«, gibt sie zu. »Ein Jahr haben wir nicht miteinander gesprochen, dann hatten wir es vergessen.«

Janine Wissler ist Politologin, Vorsitzende der Linken im Hessischen Landtag und Mitglied des Bundesvorstands. Sie wurde 1981 in Langen bei Frankfurt am Main geboren und ist mit 39 Jahren die Jüngste in dieser Runde. In ihren zwölf Parlamentsjahren war sie bereits im NSU-Untersuchungsausschuss, derzeit leitet sie den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Ihr größter feministischer Erfolg war, die Studiengebühren in Hessen »mit abzuschaffen«, denn Zugang zu Bildung ist eine zentrale Forderung der Frauenbewegung. Welcher anderen Feministin Wissler gerne mal so richtig die Meinung sagen würde? »Alice Schwarzer! Mich nervt, dass sie uns ständig vorschreibt, wie wir uns kleiden sollen – ob es ums Kopftuch geht oder um ›Nuttenmode‹, wie Schwarzer es nennt. Ich würde sagen: Mein Bauch gehört mir und mein Kopf gehört mir.«

Katharina Oguntoye ist Autorin und Kunstschaffende. Sie wurde 1959 in Zwickau geboren und wuchs dort sowie in Nigeria auf. Sie hat die afrodeutsche Bewegung geprägt, ist Gründungsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und Mitherausgeberin des Buches »Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«. Seit 22 Jahren leitet Oguntoye den interkulturellen Verein Joliba. In den 80er Jahren engagierte sie sich in der Frauenbewegung. »Was wir leider nicht geschafft haben, war, die materiellen Unterschiede zwischen der Mittel- und Arbeiterklasse zu beseitigen«, sagt sie selbstkritisch. Ob sie jemals verletzende Sprache benutzt? »Öffentlich nie, das habe ich mir früh vorgenommen! Privat rede ich manchmal stereotyp, obwohl mir bewusst ist, dass das falsch ist. Aber der Mensch ist eben ein Mensch.«

Carolyn Gammon ist Autorin, Übersetzerin und zeigt englischsprachigen Touristen das jüdische Berlin. In der Hauptstadt lebt sie seit 1992 und ist mit Katharina Oguntoye verpartnert. Geboren wurde sie 1959 in Kanada. Ihr größter feministischer Erfolg war, in den 80er Jahren die »Lesbian Studies« als Studienfach an der Concordia University in Montreal zu etablieren. Vor ihrem Abschluss lehnte sie den »Master« ab und verlangte frech eine »Mistress«; in der Folge wurde das geschlechtsneutrale »Magisteriate« eingeführt. Um Gewalterfahrungen zu verarbeiten, wurde sie Gewichtheberin (»powerlifting«). Von jungen Feministinnen wünscht sie sich manchmal mehr Mut. »Wobei man sich leider nicht gegen jeden einzelnen sexistischen Angriff wehren kann. Auch ich habe Momente, in denen ich nicht stark bin«, gesteht sie.

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