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Corona stellt auch die soziale Frage
Die Folgen des Virus werden weltweit vor allem die arbeitenden Klassen treffen, meint Matthias Ebbertz
Das an Krisen und Katastrophen schon jetzt nicht gerade arme Jahr 2020 kommt nicht zur Ruhe. Dabei scheint es mit gnadenloser Präzision die biblischen Plagen über die Menschheit schicken zu wollen. Feuersbrünste und Fluten haben Australien heimgesucht. Heuschreckenschwärme fressen die Felder Ostafrikas leer und könnten sich bald bis nach China ausbreiten. Tausende Geflüchtete, die an den Grenzen Europas ihrem Schicksal überlassen werden, Anschläge auf als »ausländisch« markierte Menschen in Deutschland. Und nun also eine drohende Pandemie.
Wahr ist an dieser Aufzählung nur, dass diese Ereignisse weniger göttlicher Rachsucht, sondern viel mehr der kapitalistischen, also auf Ausbeutung von Mensch und Natur basierenden, Gesellschaft, entspringen - oder diese zumindest ihre Wirkung und Folgen verstärkt. Doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Die Feuersbrünste haben nicht etwa zur weltweiten Einsicht geführt, es mit dem Klimawandel nun doch etwas ernster zu nehmen. Heuschrecken fallen in diesem Moment über die Nahrungsversorgung von Millionen her, ohne dass die Weltgemeinschaft allzu große Anstrengungen unternehmen würde, Ursachen und Folgen zu bekämpfen. Vor den Augen Europas entsteht auf der griechischen Insel Lesbos eine pogromartige Stimmung gegen Schutzsuchende. Indes, die Welt spricht über Covid-19 - und scheint hier plötzlich zu allerlei Anstrengungen imstande.
Schon nach den Anschlägen von Hanau war erschreckend, wie schnell die nationale Aufwallung anderen Themen gelten konnte. Eine Woche später waren alle kurzatmigen Beileidsbekundungen vergessen, schon konnte es weitergehen. Nur zu dankbar stürzte man sich auf das neue Aufregerthema Nummer eins. Covid-19 hat die Schlagzeilen der letzten Woche fast durchgängig beherrscht. Anders übrigens als während des Ebola-Ausbruches 2014, der sich jedoch nur auf ein paar westafrikanische Staaten erstreckte und der der Welt in Gänze relativ egal war.
Covid-19 ist, das muss man dazu sagen, sehr viel ansteckender als Ebola, es verbreitet sich tatsächlich rasant. Es hat außerdem die hoch diversifizierte und globalisierte Wirtschaft schon jetzt in einem Ausmaß getroffen, das bald an die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise heranreichen dürfte. Lieferketten wurden unterbrochen, ganze Produktionen geraten ins Stocken, und das schon während des regional begrenzten Ausbruchs nur in China. Das Virus infiziert die Weltwirtschaft und legt sie lahm, wie es kein Streik der letzten Jahrzehnte auch nur ansatzweise vermocht hätte. Das zeigt: Die Macht der globalen arbeitenden Klasse ist immer noch groß - bleibt sie zu Hause, ob erzwungen oder im Streik, dann stehen alle Räder still.
Es macht aber auch verständlich, warum die internationale Gemeinschaft so nervös auf das Virus reagiert und plötzlich willens scheint, ein Problem halbwegs gemeinsam anzugehen. Investmentbanker Brent Thill brachte das gegenüber der »FAZ« schön auf den Punkt: »Nicht einmal die Elite ist immun gegen das Virus.« Das will heißen: Covid-19 ist so ansteckend, dass man sich kaum mit Geld davor schützen kann. Es trifft den gesamten weltweiten Kapitalkreislauf durch die Produktionseinbrüche wie es auch die personifizierten Träger des Kapitals selbst infizieren kann. Die Erkrankung gerade desjenigen iranischen Ministers, der für die Corona-Bekämpfung zuständig war, lieferte dafür ein eindrückliches Zeugnis. Gleichwohl vermeldete eine Firma für Privatflüge eine stark erhöhte Nachfrage: Wer es sich leisten kann, reist jetzt im Privatjet oder bringt sich und die Seinen gleich ganz aus den Risikogebieten in Sicherheit.
Und so werden auch die Folgen des Virus weltweit vor allem die arbeitenden Klassen treffen. Diejenigen, die gratis oder schlecht entlohnt die Care-Tätigkeit mit Infizierten übernehmen müssen. Das Krankenhauspersonal, das unterbezahlt und schlecht ausgestattet schon vor der Pandemie weit über seine Belastungsgrenzen hinaus arbeiten musste. Diejenigen, die nicht entschädigte Lohnausfälle haben. Wenig Fantasie braucht es auch, sich auszumalen, was passiert, wenn es zum Äußersten kommen sollte. Die Zweiklassenmedizin in Deutschland ist längst Realität, von Staaten mit schlechterer Grundversorgung als in Deutschland ganz zu schweigen. Wer es sich leisten kann, wird die beste Behandlung bekommen. Der Rest muss hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird. Panik ist fehl am Platz, aber diese Sorge ist berechtigt.
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