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Alle ran an die Geldpumpen
Zentralbanken kämpfen gemeinsam gegen globale Corona-Wirtschaftskrise
Corona zeigt, wie verletzlich die globalisierte Welt ist. Epidemien und Katastrophen gab es zwar auch früher, doch die Weltwirtschaft war noch nie so eng miteinander verflochten wie heute. Daher sehen viele Finanzanalysten die Zinssenkungen und Geldspritzen, die mehrere Zentralbanken in den vergangenen Tagen beschlossen haben, als koordinierte geldpolitische Reaktion.
Besonders stark war die Reaktion der Bank von England (BoE). Drei Tage vor dem Ende der Amtszeit von Gouverneur Mark Carney beschloss diese ein Paket geldpolitischer Lockerungsmaßnahmen, das sowohl vom Umfang als auch vom Zeitpunkt her überraschte, wie es der Britannien-Experte der Commerzbank, Peter Dixon, formuliert. Anstatt bis zur regulären Sitzung Ende des Monats zu warten, senkte die britische Zentralbank bereits am Mittwoch den Leitzins von 0,75 auf 0,25 Prozent und beschloss weitere Maßnahmen. »Alle Mann an die Pumpen«, kommentierte Dixon sarkastisch.
Kritiker werfen der BoE Aktionismus und übergroße Nähe zu den Finanzmärkten vor. London gilt als größter Finanzplatz der Welt. Die Kritiker sehen in der drastischen Zinssenkung vor allem eine Reaktion auf den Absturz des wichtigsten britischen Aktienindexes FTSE 100 Anfang der Woche. Ähnlich war es auch den anderen großen Börsen ergangen, an der Wall Street war gar von »Panik« die Rede. Auch am Donnerstag ging es wieder recht steil bergab. Der jahrelange Boom bei Aktien und an den Immobilienmärkten wurde vor allem von dem billigen Geld angetrieben, mit dem die Zentralbanken seit der Finanzkrise 2007/2009 die Märkte fluteten.
Im März hatten schon ein Dutzend Notenbanken, darunter die von Australien, Saudi-Arabien und Kanada, ihre Leitzinsen gesenkt. China blieb dagegen ruhig - die dortige Zentralbank vertraut den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung in Peking. Auch die US-Notenbank reagierte bereits auf die durch Corona ausgelösten Finanzmarktturbulenzen mit einer deutlichen Zinssenkung um 0,5 Prozent. Der Leitzins steht nun bei 1 bis 1,25 Prozent. Die Fed, die schon in der Vergangenheit in wirtschaftlich kritischer Lage auf außerordentliche Zinssenkungen zurückgegriffen hatte, kam offenbar zu dem Schluss, dass die aktuelle Situation ein ähnlich rasches Handeln rechtfertigt. Aufgrund des Aktienkursverfalls und des Preisrückgangs bei Öl dürfte sich das »Flaggschiff« der Notenbanken bestätigt sehen.
Anders als in der Finanzkrise sind dieses Mal nicht die Banken verantwortlich, sondern die Realwirtschaft, die infolge der Quarantäne-Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie mancherorts in eine Rezession fallen könnte. Für die Bundesrepublik, die aufgrund ihrer extremen Exportorientierung als besonders anfällig gilt, sei dies »sehr wahrscheinlich«, wie sieben bekannte Ökonomen in einem Brief an die Bundesregierung gerade warnten.
Deren Folgen könnten jedoch wiederum die Banken treffen. Eine Verschärfung der Krise könnten zu Ausfällen bei Krediten an Unternehmen führen. Dies wiederum würde den Kapitalpuffer der Banken schwächen, die dann weniger neue Kredite vergeben dürfte, was wiederum Gewerbe und Industrie noch mehr schwächen würde. Ein Teufelskreis, den Volkswirte als »Kreditklemme« bezeichnen.
Schon werden erste Stimmen laut, die vor einer neuen Bankenkrise warnen. Das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung forderte am Donnerstag »gezielte Maßnahmen auf europäischer Ebene«, um einer Ansteckung des Finanzsektors entgegenzuwirken. Hier wäre vor allem die Politik gefordert. Besonnene Stimmen weisen allerdings auf die verschärften Regulierungen für Banken hin, die nach der Finanzkrise durchgesetzt wurden. So verfügen heute die Geldinstitute über einen weit stärkeren Kapitalpuffer für eine Krise als 2007. Warum bei ersten Gewitterwolken schon nach zusätzlichen staatlichen Hilfen für Banken gerufen wird, dürfte sich nicht jedem erschließen.
Dennoch reagierte jetzt auch die Europäische Zentralbank (EZB). Anders als Fed und BoE darf sie offiziell nicht die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierungen unterstützen und soll lediglich die Preisstabilität wahren. Auch darum plädierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde laut Agenturberichten am Dienstagabend in einer Telefonkonferenz mit europäischen Spitzenpolitikern für ein rasches Handeln der Regierungen.
Sie selbst stellte am Donnerstag nach einer Ratssitzung ihr Programm zur Bekämpfung der Folgen des Coronavirus vor: Zwar bleibt der Leitzins unverändert bei 0,0 Prozent, aber die Geldpolitik schnürt ein eher kleines Paket aus zusätzlichen Wertpapierkäufen im Gesamtumfang von 120 Milliarden Euro bis zum Jahresende und aus erweiterten zinsgünstigen Langfristkrediten an Geschäftsbanken. Das soll Kreditinstitute dazu bringen, Kredite gerade an kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben, die von der Corona-Krise besonders betroffen sein werden.
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Lagarde nutzt »die sehr begrenzten verbleibenden Möglichkeiten«, lobte Friedrich Heinemann, Wirtschaftsforscher am ZEW-Mannheim. Ohnehin gelte die »Feuerkraft« der Notenbank als beschränkt. Das sieht der »linke Chef-Ökonom« Rudolf Hickel ähnlich: »Die Geldpolitik der EZB bietet mit der aktuellen Niedrigzinspolitik kaum noch Spielraum für eine auch erfolgreiche Verschärfung der expansiven Geldpolitik mit Niedrig-, Null- und Minuszinsen«, erklärte der Bremer Wirtschaftswissenschaftler gegenüber »nd«. Bei den Verbrauchern würde eine weitere Geldschwemme ohnehin nicht rechtzeitig ankommen. Der Ball liege jetzt wieder im Feld der Finanzpolitiker. Nach Lagarde sieht Hickel jetzt Ursula von der Leyen gefordert: Sie könnte mit den EU-Regierungen ein »europäisches Stabilisierungsprogramm für die Wirtschaft« aushandeln.
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