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Der Ball ruht, der Überlebenskampf tobt

Die Deutsche Fußball Liga hofft auf eine Absage der EM und sieht kommende Geisterspiele als alternativlos an

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie sehr der Coronavirus auch den deutschen Profifußball in seinen Grundfesten erschüttert hat, war nicht nur an den Worten von Christian Seifert festzumachen. Selten wirkte der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) so getroffen wie nach der außerordentlichen Mitgliederversammlung am Montag am Frankfurter Flughafen. »Wir ringen um Lösungen, damit die wirtschaftliche Lage nicht außer Kontrolle gerät. Wir müssen darüber sprechen, wer wie lange ohne Spiele durchhält. Es steht mehr auf dem Spiel, als nur ein paar Fußballspiele«, machte der 50-Jährige deutlich.

Erwartungsgemäß fällten die Klubvertreter den Beschluss, auch den 27. Spieltag auszusetzen. Wobei Seifert zu verstehen gab: »Damit geht nicht einher, dass wir Anfang April wieder Fußball spielen.« Über die Fortführung des Spielbetriebs soll innerhalb der Liga in der letzten Märzwoche besprochen werden. Die für Dienstag angesetzte Sitzung der europäischen Dachorganisation UEFA soll neue Handlungsoptionen eröffnen. Sehr deutlich klang durch, dass die EM 2020 im Sommer abgesagt wird.

Der mit UEFA-Präsident Aleksander Ceferin gut vernetzte Ligachef bezifferte einen Tag vor der großen Videoschalte mit allen 55 Mitgliedsverbänden die Chance auf eine Austragung auf unter ein Prozent. »Ich gehe davon aus, dass wir ab Dienstag mehr Flexibilität haben und mit Terminen im Mai und Juni rechnen können.« Seifert: »Alle Klubs haben den Anspruch, diese Saison - rechtlich möglich und gesundheitlich vertretbar - zu Ende zu spielen. Wir ringen alle nach der besten Lösung, die wir aber auch noch nicht kennen.«

Alle Klubs wurden auf der laut Seifert »kollegial« verlaufenden Zusammenkunft aufgefordert, Extremszenarien ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu ermitteln und zu melden. Es gehe eben nicht nur um die »gut bezahlten Bundesligaspieler« (Seifert), sondern dahinter würden 56 000 Arbeitsplätze stehen. Deshalb dürfe es auch kein Tabu bei Geisterspielen geben, um die Saison irgendwie noch zu Ende zu bringen. Dass Partien vor leeren Rängen keine Lösung zur Überbrückung sein können, war nach den schauerlichen Erfahrungen vergangene Woche in Mönchengladbach, Frankfurt oder Wolfsburg der vorherrschende Eindruck. Zum einen fehlt in der direkten Umgebung alles, was den Fußball ausmacht, zum anderen ist im näheren Umfeld gar nicht zu vermeiden, dass sich in Kneipen, Sportbars oder vor den Stadiontoren die nächsten Menschenansammlungen bilden, was die hohe Infektionsgefahr nur an andere Orten verlagert.

Seifert aber stellte zur Causa Geisterspiele klar: »Wer das ablehnt, muss sich darüber bewusst sein, dass es dann bestimmt nicht mehr alle Profivereine gibt. Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind die einzige Überlebenschance. Wir müssen über diese Maßnahmen nachdenken. Die Eindämmung des Virus hat absolute Priorität, und dennoch müssen wir weiter gemeinsam an Lösungen arbeiten.« Über staatliche Hilfen, beispielsweise im Fall von Kurzarbeit, sei nicht gesprochen worden. Sehr wohl aber hat Seifert erfahren, dass einzelne Klubs gerade die Bereitschaft ausloten, sich über Gehaltsverzicht einen Teil vom größten Kostenblock vom Leib zu halten. »Wir erleben nicht nur eine finanzielle, sondern moralische und emotionale Solidarität. Es geht nicht darum, wer in der Öffentlichkeit am besten dasteht, sondern es geht ums Überleben.«

Der DFL-Geschäftsführer erlebt gerade die schwierigste Phase seines Berufslebens, die er auch in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen wusste. »Was gestern noch sicher und normal war, ist nicht mehr sicher und normal. Wir wissen nicht, was morgen ist.« Neben dem tückischen Virus sei Unsicherheit gerade der zweitgrößte Feind. »Mir ist bewusst, dass es viele andere Unternehmen gibt, die in massiveren und größeren Problemen stecken.«

Aber auch der deutsche Profifußball gerate in existenzielle Nöte: »Die größten Einnahmen sind Medien-, Sponsoring- und Zuschauereinnahmen. Wenn sie das alles nicht mehr haben, ist es eine Frage der Zeit, wie lange das gut geht«, sagte der DFL-Chef. Konkret müssen die Vereine der ersten und zweiten Bundesliga bei einem Abbruch der Saison mit einem wirtschaftlichen Schaden von 750 Millionen Euro rechnen. 384 Millionen stehen allein aus den nationalen Medienerlösen und aus der internationalen Vermarktung noch aus. Versichert sind die Fernsehgelder wie in den meisten anderen Ligen nicht. Die DFL hat 2018 allein eine Spielausfallversicherung abgeschlossen. »Unser Versicherungsschutz deckt eine Pandemie nicht ab. Vor vier Jahren hätte uns die Versicherungsprämie abgeschreckt«, sagte Seifert, der von einem Szenario »wie im Science-Fiction-Film« sprach.

Noch wand sich der DFL-Chef, um die Frage, was passiert, wenn der Ball etwa über den 30. Juni hinaus nicht rollen kann. In China hat es - bei weitaus drastischeren Restriktionen für die Bevölkerung - acht Wochen gedauert, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Kann es in der Bundesliga dann überhaupt Absteiger geben? Seifert wollte diese Frage nicht beantworten. »Es ist nicht redlich, Ja oder Nein zu sagen. Erstmal gibt es das Interesse, diese Saison zu Ende zu spielen.« Irgendwie. Irgendwann.

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