Ab in den Süden
Viele Italiener fliehen aus dem Norden des Landes in die Heimat - und bringen das Virus mit. Von Anna Maldini
In normalen Zeiten zieht es Italiener aus dem armen Süden in den reichen Norden, wo Einkommen und Arbeitsplätze locken. Derzeit jedoch hat sich der Zug umgedreht: Norditalien ist besonders vom neuen Coronavirus betroffen. In den ersten Tagen der Ausgangssperre haben sich Tausende Menschen in Autos und Züge gesetzt, um »nach Hause« zu fahren, in den Süden, nach Sizilien, Sardinien und Apulien. Rein juristisch gesehen ist das in Ordnung - wer seinen Wohnsitz woanders hat, darf nach Hause zurückkehren. Doch inzwischen wird die Heimkehrerwelle immer problematischer.
Laut Verordnung müssen sich alle aus dem Norden kommenden nach Ankunft sofort beim Hausarzt melden und sich dann in eine 14-tägige Quarantäne begeben. In der Praxis ist dies für Normalbürger nicht einfach, denn sie leben in Wohnungen, in denen sich der permanente Kontakt zu anderen Familienmitgliedern nicht vermeiden lässt. Tatsächlich, so die übereinstimmende Auskunft aus den betroffenen Regionen, ist etwa nur die Hälfte aller Heimkehrer der Verordnung gefolgt. In Sizilien sollen knapp 60 000 potenziell Infizierte eingetroffen sein, in Apulien 30 000. Und tatsächlich steigt die Zahl der Kranken jetzt schnell an: Das Virus reist aus dem Norden ein.
Für die beiden großen Inseln, Sizilien und Sardinien, ist nun die Notbremse gezogen worden. Zuerst wurden fast alle Flüge in diese Regionen ausgesetzt und die kleineren Flughäfen geschlossen; dann hat man auch die Überfahrten mit den Fähren stark eingeschränkt und die Kontrollen in den Häfen verschärft. In Sizilien ist auch der Zugverkehr innerhalb der Region auf ein Minimum reduziert und die Verbindungen zu den vielen kleineren umliegenden Inseln gestoppt worden. Für die Region Apulien auf dem Festland sind solche Maßnahmen nicht möglich. Hier setzt Ministerpräsident Michele Emiliano vor allem auf die Vernunft und appelliert an alle seine Bürger: Übernehmt auch für andere Verantwortung! Bleibt zu Hause!
Die Befürchtung ist: Wenn schon die reiche Lombardei große Schwierigkeiten damit hat, mit dem Ansturm der Kranken fertig zu werden, könnten die südlichen Regionen solch eine Welle sicher nicht bewältigen. Das gesamte Gesundheitssystem steht dort auf sehr viel schwächeren Beinen: Es gibt zu wenig Betten auf den Intensivstationen, und viele Krankenhäuser sind nicht auf die Behandlung schwerer Infektionskrankheiten ausgerichtet. Niemand gibt sich der Illusion hin, dass man diese Mängel innerhalb von nur weniger Tage beheben kann.
Jeden Tag wird jetzt wie gebannt auf die neuen Zahlen der Infizierten, der Kranken auf den Intensivstationen und der Toten in Apulien, Sizilien und Sardinien gestarrt. Man hofft und wünscht sich inständig, dass wenigstens dieser Kelch am durch seine Armut ohnehin gebeutelten Süden vorübergehen möge.
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