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Seismograf der Not

Die Berliner Bahnhofsmissionen arbeiten derzeit am Limit / »nd« spendete für Bedürftige

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Bedarf ist immens«, sagt Ulrike Reiher, Leiterin der Bahnhofsmission am Berliner Ostbahnhof. Kurz vor 8.30 Uhr stehen am Mittwochmorgen bereits 20 Menschen in einer Schlange - natürlich im gebotenen Sicherheitsabstand. Reiher und ihre Mitstreiter*innen verteilen Butterbrote, schenken Kaffee und Tee aus. Und sie sind Ansprechpartner*innen für ihre Gäste. Das sind neben Menschen mit geringem Einkommen nicht zuletzt Obdach- und Wohnungslose.

Wie man spenden kann

Die haben viele Fragen: Welcher Arzt hat überhaupt noch auf? Welche Notunterkunft? Wo finde ich einen Gabenzaun? »Wichtig ist, dass es auch in der jetzigen Situation verlässliche Stellen wie uns gibt«, so Reiher. So gut sie und ihre Kolleg*innen die Gabenzaun-Idee finden: »Da gibt es leider kein Gesicht dazu. Auch deshalb kommen unsere Gäste zu uns.«

Deren Zahl ist seit dem Anfang der Coronakrise noch einmal deutlich gestiegen. Über 220 Essensausgaben haben Reihers Kolleg*innen am Montag gezählt. Normalerweise käme man täglich auf rund 150, sagt Reiher. »Dass die Bahnhofsmission ein Seismograf der Not ist, erleben wir gerade in aller Deutlichkeit.«

Die fünf hauptamtlichen und über 20 ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen der etwas versteckt gelegenen Bahnhofsmission arbeiten aktuell am Limit. »Von unseren Ehrenamtlichen sind viele schon über 70, die vernünftigerweise jetzt zu Hause bleiben«, erzählt Reiher. Im Gegenzug seien in den letzten Tagen viele jüngere Helfer*innen eingesprungen. »Die Hilfsbereitschaft in Berlin ist da – und sie lässt auch nicht nach«, sagt die ausgebildete Juristin, die vor acht Jahren zu dem Team gestoßen ist.

Das lässt sich auch an den vielen Sachspenden ablesen, die die Bahnhofsmission täglich erreichen. Allein an diesem Mittwochvormittag haben Reihers Mitarbeiter*innen schon zwei Spendenpakete mit Kaffee und Marmelade entgegengenommen. Bereits am Dienstag kamen Verlagsmitarbeiter des »nd« mit fünf großen Taschen vorbei, voll mit Zucker, Wurst, Käse, Zitronen, Taschentüchern und Hunderten Plastikbechern.

»Das Problem ist, dass sich unser Bedarf zurzeit stündlich ändern kann«, sagt Reiher. Daher freue sich die Bahnhofsmission momentan in erster Linie über finanzielle Unterstützung, denn das zur Verfügung stehende Budget sei auf den aktuellen Ansturm nicht ausgelegt. Hinzu kommt, dass die Hilfe vieler Supermärkte weggebrochen ist. In »normalen Zeiten« könne die Einrichtung hier Waren mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum abholen. »Aber wir befinden uns eben in einer absoluten Ausnahmesituation. Die Supermärkte haben kaum noch abgelaufene Lebensmittel abzugeben.«

Wie Reiher berichtet, hat die Einrichtung am Ostbahnhof neben dem offiziellen Spendenkonto vor kurzem ein zusätzliches Konto auf der Online-Spendenplattform betterplace eröffnet. »Wir brauchen Geld: Das klingt nicht schön und, ja, anonym. Aber es ist nun einmal das, worauf wir gerade besonders angewiesen sind.«

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