- Wirtschaft und Umwelt
- Corona
Die Mafia und das Virus
Wie Italiens Verbrechersyndikate aus Covid-19 ein Milliardengeschäft machen
Italien stößt mit jedem Tag der Covid-19-Pandemie weiter an seine Grenze. Mehr als die Hälfte aller Infizierten und Erkrankten befinden sich in den nördlichen Regionen Lombardei und Venetien. Umso erstaunlicher ist die Nachricht, dass ein Unternehmen in Brescia zu Zeiten, da es in allen Krankenhäusern des Nordens an Schutzmasken und Testpäckchen fehlt, 500 000 davon an die USA verkauft hat. Der Transport fand in aller Stille statt: Eine Flugzeug der US-Nationalgarde holte die Pakete von der Luftwaffenbasis Aviano bei Pordenone ab und brachte sie nach Memphis, USA. Das Bekanntwerden des in diesen Zeiten seltsamen Deals schlug in der italienischen Öffentlichkeit hohe Wellen. Die Firma Copan in Brescia beeilte sich zu erklären, dass der Handel vollkommen konform mit der italienischen Gesetzlichkeit lief, die Ware ordnungsgemäß verzollt und verkauft wurde.
Dennoch konnten nicht alle Zweifel ausgeräumt werden. Kein Wunder, denn die italienische Mafia ist längst mit allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Italien verstrickt. Dies verdeutlichte unter anderem die Verurteilung des ehemaligen Dirktors des Gesundheitsamtes, Carlo Chiriaco, zu zwölf Jahren Haft wegen Verbindungen zur kalabrischen Mafia der ´Ndrangheta. Längst organisieren die Clans die Reinigung und Versorgung von Krankenhäusern, haben sich in den Bereichen sanitärer Güter und Desinfektionsmittel installiert, dominieren das Bestattungs- wie das Transportwesen.
Ähnlich wie die Börse auf wirtschaftliche Verwerfungen reagiert, so wittert das organisierte Verbrechen neue Chancen in der aktuellen Krise - so jedenfalls analysiert der Autor Roberto Saviano die Situation. Nach der ersten Überraschung - nicht einmal die Triaden von Hongkong ahnten das Ausmaß der Coronainfektion in China - haben sich die Clans auf die neue Situation eingestellt. Marktlücken wie das Fehlen von Schutzausrüstungen, um der Ausbreitung der Krankheit effektiv begegnen zu können, werden sofort ausgenutzt. Die italienischen Behörden registrierten einen schwunghaften illegalen Handel von Atemmasken. Atemschutzmasken der Typen FFP2 und FFP3 (solche, die auch Schutz vor feinsten Aerosolen, Viren und Bakterien bieten) werden in Länder wie Türkei, Russland, Kasachstan oder Indien exportiert und harren dort auf den Reimport nach Italien - ein Warenkreislauf, der zunächst unsinnig erscheint, mit dem Steigen der Preise für die Schutzausrüstungen jedoch enorme Gewinne verspricht. Wer, so Saviano, fragt in Zeiten des Hungers nach dem Bäcker, der das Brot anbietet?
Nebst den Geschäften mit der Coronakrise floriert der klassische Handel, mit dem die Mafia ihr Geld verdienen. Hafenbehörden und Sicherheitsdienste registrieren ein verstärktes Verkehrsaufkommen in den Häfen im italienischen Süden. Der Warenverkehr - so die Direktiven der römischen Regierung - soll zur Versorgung der italienischen Bevölkerung weiterhin funktionieren. Aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit auch an den Grenzen werden Kontrollen aber weit weniger genau durchgeführt. In der Folge gelangen Drogen auf der Südamerika- und auch auf der Afrikaroute verstärkt ins Land.
Italien ist derzeit am Limit. Weder die politischen Auseinandersetzungen noch der Kampf gegen das organisierte Verbrechen stehen auf der Tagesordnung an oberster Stelle. Hingegen sieht sich die erstaunte Öffentlichkeit mit abstrusen Offerten konfrontiert: Alessandro Campi, ordentlicher Professor für Politwissenschaften an der Universität von Perugia, lancierte einen Aufruf an die Syndikate der ’Ndrangheta, Camorra, Cosa Nostra sowie die Sancta Corona Unità mit der Bitte um Zusammenarbeit. Die Mafia solle in ihren Einflussgebieten die Forderungen nach Quarantäne durchsetzen, weiteren Zufluss von Menschen aus Norditalien zu ihren Familien im Süden verhindern. Sollte dies nicht aus eigenen Mitteln möglich sein, so Campi, fordere er die Clans auf, verantwortungsvoll mit den örtlichen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Der Vorschlag des Professors, über soziale Medien verbreitet, erntete Stürme von Protesten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.