»Hoffentlich bist Du wohlauf«

Vor 75 Jahren wurden Alfons Pech und seine Genossen in Chemnitz von den Nazis ermordet

  • Enrico Hilbert
  • Lesedauer: 6 Min.

Im März eines jeden Jahres kehren auch für Inge G. die Erinnerungen an das Ende des Krieges unwillkürlich zurück. Die hochbetagte Dame aus Berlin kümmert sich in diesen Tagen um ihre Kontakte in das sächsische Chemnitz. Sie telefoniert mit ihren Freunden vor Ort und bestellt Blumen mit einer Schleife, die für das symbolische Grab ihres Vaters gedacht sind, an jener Stelle, an der am 27. März 1945 sein Leben ausgelöscht wurde.

Sie selbst kann die beschwerliche Reise in ihre einstige Heimatstadt nicht mehr auf sich nehmen. So haben Kameradinnen und Kameraden des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes (VVN) die Aufgabe übernommen, am einstigen Wäldchen im Hutholz an den Vater und seine Mitkämpfer zu erinnern. Auch wenn es in diesem Jahr wegen der aktuellen Bestimmungen zum Gesundheitsschutz keine Gedenkfeier geben wird; ihre Blumen werden das schlichte Mahnmal schmücken, mit Schleife und den Worten »Für Alfons Pech - Deine Tochter Inge«.

Auf grauem Naturstein und einer Tafel aus Muschelkalk gibt die Inschrift an: »An dieser Stelle wurden am 27. März 1945 die standhaften antifaschistischen Widerstandskämpfer Albert Hähnel, Alfons Pech, Willy Reinel, Max Brand, Walter Klippel, Max Krusche, Albert Junghans von der Gestapo meuchlings ermordet. Ruhm und Ehre ihrem Andenken.« Das Denkmal wurde vor wenigen Jahren, finanziert von der Gemeinde, vom Bildhauer Frank Diettrich restauriert. Sein Vater Hanns hatte es 1958 geschaffen.

Aus den Unterlagen in Archiven und von Angehörigen lassen sich die Ereignisse um jenes Verbrechen rekonstruieren. Der Historiker der örtlichen VVN, Eberhard Hübsch, wusste zu berichten, dass bei Bombenangriffen auf die Stadt Chemnitz in der Nacht vom 5. zum 6. März 1945 auch das Untersuchungsgefängnis auf dem Kaßberg getroffen wurde. Hier war eine große Anzahl Antifaschisten inhaftiert, die im Rahmen der »Aktion Gitter« nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verhaftet worden waren.

Einem Teil der Häftlinge gelang in Panik und Durcheinander die Flucht. Das Ende des Krieges vor Augen, hatten Justizangestellte, gegen ein Ehrenwort auf Rückkehr, in Chemnitz wohnhaften Untersuchungshäftlingen zudem gestattet, ihre Angehörigen aufzusuchen, nachzusehen, ob sie noch am Leben sind und bei Rettungs- und Löscharbeiten zu helfen. Einigen wenigen Häftlingen gelang es, dabei unterzutauchen.

Die Dienststelle der Chemnitzer Gestapo wurde ebenfalls von Bomben getroffen und war nicht mehr nutzbar. Die für Hochverratsstrafsachen zuständige Abteilung zog in die Ausweichstelle der Gestapo in die Handwerkerschule um. Dort war sie erst ab dem 14. März 1945 wieder einsatzfähig. Ein Teil der Beamten wurde in die untere Schule nach Neukirchen verlegt. Nachdem die Gestapo und der Sicherheitsdienst der SS die Dienststellen und Kommandos geordnet hatten, bekamen alle entwichenen Untersuchungshäftlinge bei freiwilliger Rückkehr Straffreiheit zugesichert. Sollten sie sich jedoch nicht stellen, wurde die Todesstrafe angedroht.

In den folgenden Tagen begann die Suche nach den geflohenen Häftlingen. Am Montag, dem 19. März, wurde der schwer erkrankte Max Brand in seiner Wohnung verhaftet. Albert Hähnel war nach den Löscharbeiten in seiner Wohnung und Hilfestellung für Ausgebombte in seinem Wohngebiet gemeldet und arbeitete bis zum 16. März bei einem Bäcker. Er wurde auf der Arbeitsstelle verhaftet. Walter Klippel versuchte, sich im Gartenhaus eines Nachbarn zu verbergen. Er wurde denunziert, von Polizisten verhaftet und sofort an die Gestapo überstellt.

14 der politischen Untersuchungshäftlinge wurden bis zum 26. März 1945 von Gestapo und Schutzpolizei gefasst. Am Mittwoch, dem 14. März, erteilte Kommissar Mackarow den Kommissaren Obst und Munkelt den schriftlichen Befehl, »diejenigen der Inhaftierten auszusondern, die rückfällig sind …« Auf der Liste standen die Namen von sieben Untersuchungshäftlingen.

Am Nachmittag des 27. März 1945 wurden die sieben in Handschellen auf einem Lkw nach Neukirchen gebracht. Den Gefangenen wurden Spaten ausgehändigt und sie wurden schwer bewacht in Richtung Hutholz in Marsch gesetzt. Ein Sonderkommando aus dem der Gestapo unterstellten Lager für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene an der Turnhalle an der Jahnstraße in Neukirchen war mit der Exekution der Gefangenen beauftragt worden. Das Kommando hatte SS-Obersturmführer Schlupper, die Kommissare Obst und Munkelt erhielten den Befehl, die Exekution zu überwachen.

Einwohner der Siedlung, die auf die Gefangenen aufmerksam geworden waren, wurden von den Wachmannschaften angeschrien, sich in die Häuser zu begeben oder sie könnten sich gleich dem Trupp anschließen. Auf dem Erschießungsgelände mussten die Gefangenen Walter Hähnel, Walter Klippel und Alfons Pech eine bereits teilweise ausgehobene Grube mit ihren Spaten vollenden. Die sieben Gefangenen wurden in die Grube gestoßen und aus nächster Nähe erschossen. Man habe sie zuvor gezwungen, sich mit dem Gesicht nach unten in die Grube zu legen, lassen die Recherchen auch Details erfahren. Gestapo-Oberassistent Grosser habe ihnen den Fangschuss gegeben.

Inges Bruder, rund zehn Jahre älter, war zuvor mehr gemeinsame Zeit mit dem Vater vergönnt gewesen als ihr. Alfons Pech, Sozialist, der Arbeiterbewegung eng verbunden, war bis zuletzt im gemeinsamen Widerstand von Kommunisten, Sozialdemokraten und Zwangsarbeitern aktiv gewesen. Er prägte die persönlichen Entscheidungen des Sohnes auch in den Tagen des Kriegsendes. In den wenigen Tagen der Freiheit nach dem Bombardement hatte dieser den Vater noch einmal in der elterlichen Wohnung besucht. Auch hier ging es um die Frage: Wie kann man überleben?

Für sich selbst schloss Alfons Pech es aus unterzutauchen, denn seiner Frau und Familie drohten dann Sippenhaft. Die gesundheitlich angeschlagene und ebenfalls schon einmal inhaftierte Gattin hätte dies wohl nicht überstanden. Dem Sohn jedoch riet der Vater, nicht abzuwarten, alles für das eigene Überleben zu tun. In einem Versteck bei den Schwiegereltern überstand Ottomar die letzten Tage bis zur Befreiung. Nach dem Krieg wurde er Mitglied der KPD.

Das letzte überlieferte Zeugnis von Alfons Pech ist ein Teil aus einem Brief an seine Frau Clara vom 25. Februar 1945: »Ich will nun an diese Zeilen die Hoffnung knüpfen, die sich bisher nicht erfüllt hat, denn seit dem Brief vom 29. 1. habe ich bisher kein Lebenszeichen erhalten.« Alfons Pech vermutete eine Sonderbehandlung durch die Wächter, denn »alle anderen erhalten regelmäßig Post, haben auch schon öfter Sprecherlaubnis«. Wie könne man seine ohnedies geschmälerten Rechte noch weiter kürzen, fragte er sich. Und weiter: »Du schreibst doch bestimmt regelmäßig. Hoffentlich bist Du noch wohlauf. Um mich brauchst Du Dir keine Sorgen machen, ich hoffe auch, dass ich diese Zeit noch durchstehen werde, wenn es oft auch schwerfällt, besonders wenn man von allen Angehörigen abgeschnitten wird. Sieh nur zu, wie Du Deine Gesundheit erhältst, alles andere ist wenig wichtig.«

Auch wenn an diesem 27. März 2020 der Opfer vor Ort im Hutholz zwischen der Gemeinde Neukirchen und der Stadt Chemnitz nicht gedacht werden kann, so sind die Gedanken vieler Menschen bei ihnen.

Ihnen gebührt ein würdiger Platz auch am zukünftigen Gedenkort im einstigen Gefängnis auf dem Kaßberg, der gegenwärtig umgebaut wird. Bisher dient er der Erinnerung allein an die einst hier befindliche DDR-Untersuchungshaftanstalt und ihre Rolle als zentrale Durchgangsstation für alle von der Bundesrepublik aus DDR-Gefängnissen freigekauften politischen Häftlinge. Das sollte nicht ihre einzige Bestimmung bleiben. Das sogenannte Tor zur Freiheit war zwölf Jahre seiner Geschichte ein Vorort des Todes.

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