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Eine Maskenbewegung formiert sich
Überall in Berlin und Brandenburg nähen Menschen Mundschutze – besonders eifrig ist die vietnamesische Community
Selbst gefertigte Gesichtsmasken sind der neue Trend in der Hauptstadt. »Ich habe ein Dutzend genäht«, berichtet etwa Sabrina Müller dem »nd«. Sie heißt eigentlich anders, möchte ihren richtigen Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Angefangen habe alles mit einer geliehenen Nähmaschine und einer Anleitung zum Maskennähen aus dem Internet.
»Das ist nicht kompliziert«, erklärt sie. Ein alter Bettbezug, etwas Draht – und in wenigen Arbeitsschritten entsteht daraus ein behelfsmäßiger Mundschutz. »Am Anfang dauert es ein bisschen länger.« Doch inzwischen brauche sie nur noch etwa eine Viertelstunde pro Maske. Nachdem sie die ersten Exemplare im Freundeskreis verteilt hatte, kamen weitere Anfragen: Müller produzierte fünf Masken für ein Pflegeheim. »Das hat mir Freude gemacht, da zu helfen«, erzählt die Hobbynäherin.
Trinh Thi Mui, eine Unternehmerin aus Hohenschönhausen, ist da schon etwas professioneller. »Aus einem Männer-T-Shirt lassen sich sechs Masken nähen, aus einem Frauen-T-Shirt vier oder fünf Masken«, schreibt sie auf ihrer Facebookseite. Sie hat sich mit T-Shirts in der Hand fotografiert, die sie bis vor wenigen Wochen noch im Großhandel verkauft hatte. Nun näht sie wie viele andere ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiterinnen Baumwollmasken – und verschenkt sie an Mitarbeiter von Seniorenheimen, Krankenschwestern und Polizisten. Auch können sich Berliner Masken in der buddhistischen Pagode in Hohenschönhausen abholen. »Der Virus kann uns alle treffen. Wir wollen helfen«, sagt die Händlerin.
Eine Vietnamesin, die nicht mit Namen in der Zeitung stehen möchte, verkauft Masken für vier Euro pro Stück in ihrem Waschsalon in Lichtenberg, einem der wenigen Geschäfte von Vietnamesen, das noch geöffnet sein darf. Sie erhält Ware von vielen Landsfrauen, die zu Hause nähen, um nicht arbeitslos zu sein.
Tamara Hentschel vom vietnamesischen Integrationsverein Reistrommel wurde von dem großen Elan regelrecht überrollt. »Unser Verein wird sich auch daran beteiligen«, sagt sie dem »nd«. Derzeit würden geeignete Baumwollstoffe gesammelt, beispielsweise Bettwäsche. Es sollen zweilagige Masken entstehen, dazwischen eine Schicht Vlies. Sie kennt die Frauen, die sich jetzt in den eigenen Wohnungen an die Nähmaschinen setzen, schon aus DDR-Zeiten, als sie Betreuerin für Vertragsarbeiter im »VEB Berliner Damenmoden« und »VEB Fortschritt Herrenbekleidung« war.
Der Markt lässt die Maske fallen
Schutzausrüstungen werden in der Corona-Krise zur umkämpften Ware
Weil nach der Wende die Textilindustrie in Berlin den Bach hinunterging, arbeiteten die Frauen in den letzten Jahren in anderen Branchen. Viele dieser Läden sind jetzt coronabedingt geschlossen und die Frauen zum Nichtstun verdammt. »Das Nichtstun sind sie aber nicht gewohnt. Und sie wollen sich solidarisch zeigen«, so Hentschel. Sie ist begeistert: »Ich finde es toll, dass sich hier gerade Vietnamesinnen engagieren, die ja viel Rassismus erleben mussten, als der Virus noch nur in China war.« Nötig wäre eine Struktur zur Verteilung, mahnt sie ebenso wie Sabrina Müller an.
Ein Problem: Die selbst gefertigten Masken genügen den medizinischen Anforderungen nicht. Sie haben keinen Filter, die Coronaviren können durch die Poren der Baumwolle hindurchschlüpfen. Sie schützen – da sind sich Virologen uneins – die Träger entweder wenig oder gar nicht vor Corona. Aber sie können die Umgebung schützen. Solange sie nicht durchfeuchtet sind, verhindern sie, dass Infizierte ihre Viren über Tröpfchen an Umstehende weitergeben.
Dieser Umstand weckt auch das Interesse der Politik. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Thomas Isenberg, hält eine Maskenpflicht für sinnvoll, wie sie in Österreich gilt oder im thüringischen Jena geplant ist. »Das kann auch ein Vorbild für Berlin sein«, sagt er. Die Linke positionierte sich gegen eine Maskenpflicht.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) planen derzeit keine Maskenpflicht in ihren Verkehrsmitteln. »Wir haben gar nicht das Recht, das zu entscheiden«, sagt Unternehmenssprecherin Petra Nelken auf nd-Anfrage. »Für unsere Mitarbeiter haben wir Masken, falls sie die aufsetzen wollen«, so Nelken weiter. In den Bussen seien die Absperrbänder vor dem Fahrerplatz inzwischen größtenteils durch transparente Kunststoffvorhänge ersetzt worden, was einen besseren Schutz gewährleisten soll.
Immerhin werden inzwischen auch professionellere Masken mit Filtereinsatz gefertigt, etwa durch die Kostümwerkstatt der geschlossenen Deutschen Oper, die die Masken Pflegeheimen zukommen lässt. Auch die Modeschule Berlin hat am Dienstag angekündigt, mit der Produktion von zunächst 1000 Masken für das Personal von Krankenhäusern zu beginnen. »Das ist ein hervorragendes Signal in diesen schwierigen Zeiten: Jeder und jede hilft dort, wo er oder sie am besten kann«, freut sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) über die Initiative der beruflichen Schule. Die Bildungsverwaltung teilte mit, dass die Gesundheitsverwaltung Schutzmasken von gemeinnützigen Anbietern oder staatlichen Werkstätten für zwei Euro das Stück ankaufe. Denn die Not sei groß, sagt Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Montag dem »Tagesspiegel«.
Auch im Friedrichshainer »xHain hack+makespace« nähen sechs Leute Masken, vor allem für Arztpraxen und Krankenhäuser. »Wir haben deutlich mehr Anfragen, als wir bewältigen können«, erklärt Gründer Felix Just. Weitere Helfer würden gesucht. Daneben werden mit 3D-Druckern auch sogenannte Faceshields produziert, eine Art Spritzschutz für das Gesicht. Man könne die Produktionskapazitäten noch ausweiten, so Just. Doch dafür bräuchte man Geld vom Land Berlin – nicht, um Gewinn zu machen, sondern um die Materialkosten zu decken.
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