Lasst sie ertrinken!

Wegen Coronagefahr: Das Bundesinnenministerium bittet in einem Schreiben private Seenotretter, ihre Arbeit im Mittelmeer einzustellen

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 3 Min.

»Angesichts der aktuellen schwierigen Lage appellieren wir deshalb an Sie, derzeit keine Fahrten aufzunehmen und bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen« steht in einem Papier, das »nd« vorliegt. Unterschrieben hat es der Abteilungsleiter für Migration im Bundesinnenministerium, Ulrich Weinbrenner. Das Schreiben ging an verschiedene Organisationen, die im Mittelmeer Flüchtlinge retten.

Hintergrund war wohl ein Ersuchen des italienische Innenministerin Luciana Lamorgese. Dieser hatte sich am 31. März 2020 an Bundesinnenminister Horst Seehofer mit dem Hinweis gewandt, dass unter deutscher Flagge fahrende Schiff »Alan Kurdi« der NGO Sea-Eye e.V. habe seine Rettungsaktivitäten im zentralen Mittelmeer wieder aufgenommen. Die italienische Regierung wies darauf hin, dass Italien wegen des Coronavirus vor einem Gesundheitsnotstand stehen würde und daher keine Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer gewährleisten könne.

Per Verbalnoten hat die maltesische und italienische Regierung daher mitgeteilt, das Anlanden von Rettungsschiffen in ihre Häfen nicht gestatten zu können. Dieser »eindringliche Appell«, so steht es im Schreiben des deutschen Bundesinnenministeriums, brachte die Behörde dazu, das Schreiben an die Organisationen Sea-Eye, Lifeline, Sea-Watch und SOS Mediterranee zu schicken.

Michel Brandt, Bundestagsabgeordneter und Obman im Menschenrechtsausschuss sprach gegenüber »nd« von einem Aufruf zur unterlassenen Hilfeleistung. Wie absurd der Appell der Bundesregierung sei, zeige sich vor allem dadurch, dass die Bundesregierung sich zwar für einen Rückruf der Schiffe, nicht aber für einen sicheren Hafen für die »Alan Kurdi« einsetzt.

Das Schiff rettete am Montag in zwei Einsätzen 150 Menschen vor der Küste Libyens. Das Schiff sei so voll wie noch nie, teilte der Sprecher der Organisation, Gorden Isler, mit. Laut Sea-Eye sollen libysche Schnellboote versucht haben, die beiden Rettungseinsätze im Mittelmeer zu behindern. Zudem habe bei dem zweiten Einsatz ein italienisches Versorgungsschiff den Notruf früher gehört, Hilfsmaßnahmen aber mit Hinweis auf andere Aufgaben verweigert, hieß es weiter. Ob und wann die Organisation einen sicheren Hafen für die Schiffe findet, sei aktuell unklar.

»Sea-Eye wurde gegründet, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Jedes Leben besitzt einen unschätzbaren Wert. Kein Menschenleben ist entbehrlich oder weniger wertvoll«, so begründet Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V., den Einsatz während der Corona-Krise. Man habe außerdem spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. »Deutsche Hochseeschiffe haben ohnehin höchste Sicherheitsanforderungen. Darüber hinaus haben wir ausreichende, persönliche Schutzausrüstung für unsere Crew an Bord«, sagt Jan Ribbeck, Einsatzleiter der Mission.

Die Coronakrise behindert aktuell massiv die Seenotrettung. »Die Helfer seien durch die Maßnahmen gegen das Virus extrem eingeschränkt«, erzählt Ruben Neugebauer von der Organisation Sea-Watch. »An der Werft in Messina, an der die ‚Sea-Watch 3″ liegt, sind die Läden für Ersatzteile geschlossen.« Auch könne wegen der Reisebeschränkungen kaum eine Crew zusammengestellt werden.

Auch die »Ocean Viking« von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée kann nicht auf das Mittelmeer. »Wir sind bestrebt, unseren lebensrettenden Einsatz so schnell wie möglich wieder aufzunehmen«, erklärten die Organisationen. Doch die Ausnahmesituation wegen der Corona-Pandemie lasse eine sofortige Rückkehr in das zentrale Mittelmeer im Moment nicht zu.

Dabei hat die Coronakrise nicht für weniger Flüchtlinge gesorgt: Nach Zahlen der International Organisation of Migration (IOM) war die Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangten, ähnlich hoch wie im Vergleichszeitraum 2019 und 2018.

Laut der IOM wurden in den vergangenen Tagen Hunderte Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa wollten, zurück nach Libyen gebracht. Dort erwartet sie die Inhaftierung in Lagern, in denen Gewalt, Folter und Menschenhandel herrschen. Die Organisation Alarm Phone, die einen Notruf für Flüchtlinge im Mittelmeer betreibt, berichtet immer wieder von verschwundenen Booten und vermissten Personen.

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